Der Sohn des Azteken
schon lange bemerkt, daß er oft mit dir zusammen war und dich mit sehnsüchtigen Blicken bedachte. Ich bin nicht blind für solche Dinge, denn ich habe mich selbst immer wieder verliebt. Ich kannte den lyac als einen bewundernswerten jungen Mann, und auch ohne die überraschende Entdeckung, die wir an diesem Tag machten, hätte ich kaum eifersüchtig sein können, wenn sich herausgestellt hätte, liebe Verónica, daß Pozonáli Gnade in deinen Augen fand. Dein Bericht über Nochétzlis Angriff auf die Estancias, an dem du teilgenommen hattest, war bereits verfaßt. Deshalb diktierte ich dir die Beschreibung meines sehr viel schwierigeren Überfalls auf die Handelsstation. Du hast alles aufgeschrieben. Ich endete den Bericht mit dem Beschluß, in die Miztóatlan-Berge zu ziehen. Als ich schwieg, hast du leise gesagt: »Ich bin froh, Herr, daß Ihr plant, die Stadt Mexico so bald anzugreifen. Ich hoffe, Ihr werdet sie genauso zerstören wie Tonalá.«
»Das hoffe ich auch. Aber wieso bist du an der Zerstörung von der Stadt Mexico interessiert?«
»Weil dabei auch das Nonnenkloster zerstört wird, in dem ich nach dem Tod meiner Mutter gelebt habe.«
»Es war ein Kloster in der Stadt Mexico? Davon hast du noch nie etwas gesagt. Ich kenne dort nur ein Nonnenkloster. Es befand sich nahe der Mesón de San José, wo ich einmal gelebt habe.«
»Das ist es, Herr.«
Mir kam zum ersten Mal ein etwas beunruhigender, aber nicht von der Hand zu weisender Verdacht. »Bist du den Nonnen aus irgendeinem Grund böse, mein Kind?« sagte ich vorsichtig. »Ich wollte dich schon oft fragen, wieso du aus dem Kloster geflohen und heimatlos herumgeirrt bist, bevor du bei unseren Sklaven Zuflucht gefunden hast.«
»Die Nonnen waren sehr grausam … zuerst zu meiner Mutter und dann zu mir.«
»Das mußt du mir etwas genauer erklären.«
»Nachdem meine Mutter alt genug war, wurde sie nach dem Besuch der Kirchenschule, wo sie ausreichende Unterweisung in dieser Religion erhalten hatte, gefirmt und nahm sofort den Schleier, wie man das nennt. Das heißt, sie wurde eine Braut Christi und lebte als Novizin im Kloster. Wenige Monate später entdeckte man jedoch, daß sie ein Kind erwartete. Sie mußte die Nonnentracht ablegen, dann wurde sie ausgepeitscht und in Schande aus dem Kloster getrieben.« Wie ich sah, mußtest du bei dieser Erinnerung mit den Tränen kämpfen. Mir tat es weh, dein Leid mit anzusehen, aber ich schwieg. Du hast dann stockend weitergesprochen. »Wie ich schon früher einmal gesagt habe, hat sie mir nie verraten, durch wen sie geschwängert wurde.« Du hast mit unüberhörbarer Bitterkeit hinzugefügt: »Ich bezweifle, daß es Christus, ihr Ehemann, war.«
Ich überlegte eine Weile, bevor ich schließlich fragte: »Könnte deine Mutter Rebeca geheißen haben?«
»Ja!« Jetzt warst du erstaunt. »Wie könnt Ihr das wissen, Herr?«
»Ich habe diese kirchliche Schule auch für kurze Zeit besucht, deshalb kenne ich einen kleinen Teil der Geschichte deiner Mutter. Aber ich habe die Stadt verlassen und deshalb nie die ganze Geschichte gehört. Was ist aus Rebeca geworden, nachdem man sie aus dem Kloster gejagt hatte?«
»Ich bin sicher, mit einem unehelichen, vaterlosen Kind im Leib schämte sie sich, zu ihrer Mutter und ihrem Vater, ihrem weißen Patrón, zurückzugehen. Eine Zeitlang schlug sie sich mit niederen Arbeiten auf dem Markt durch und lebte im wahrsten Sinne des Wortes auf der Straße. Ich bin auf einem Lager aus Lumpen in irgendeiner Gasse zur Welt gekommen. Ich vermute, ich hatte Glück, daß ich das überlebte.«
»Und dann?«
»Danach hatte sie für zwei zu sorgen. Ich erröte, wenn ich das sage, Herr, aber sie tat, was Ihr in Eurer Sprache ›rittlings auf die Straße gehen‹ nennt. Als Mulattin, das könnt Ihr Euch denken, konnte sie reiche spanische Edelmänner oder auch nur wohlhabende Fernhändler schwerlich reizen. Es waren nur Träger vom Markt, Moro-Sklaven und ähnliche Männer, die sich mit ihr in schäbigen kleinen Gasthäusern, in Hütten oder sogar unter freiem Himmel vergnügten. Ich weiß noch, gegen Ende, und damals kann ich nicht älter als vier Jahre gewesen sein, mußte ich zusehen, wie sie diese Dinge tat.«
»Gegen Ende? Wie war das Ende?«
»Ich erröte schon wieder, Herr. Beim Beinespreizen hat sie sich die Nanáua geholt, die abscheulichste und schmachvollste aller Krankheiten. Als meine Mutter wußte, daß sie sterben würde, ging sie mit mir an der Hand zum Kloster
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