Der Sohn des Azteken
und Speere mit Spitzen aus einem Metall, das sich nicht verbog oder brach. Alle trügen sie Rüstungen aus diesem Metall, das normale Geschosse nicht zu durchdringen vermochten.
Dann traf ein Bote ein, der den weißen Mantel der Trauer trug und dessen Haar auf eine Weise geflochten war, die schlechte Neuigkeiten verhieß. Er brachte die Nachricht, daß die Eindringlinge auf ihrem Weg nach Westen ein Volk und einen Stamm nach dem anderen besiegt hatten – die Totonáca, die Tepeyahuáca, die Texcaltéca – und daß sie alle überlebenden Krieger in ihre eigenen Reihen gezwungen hatten. Dadurch verringerte sich die Zahl ihrer Kämpfer auf dem Vormarsch nicht, sondern wuchs ständig. Rückblickend will ich anmerken, daß sich viele dieser einheimischen Krieger der Streitmacht der Fremden nicht unbedingt widerstrebend anschlossen, denn ihre Völker hatten Tenochtitlan seit langem zähneknirschend hohe Tribute geleistet. Nun bot sich ihnen die Gelegenheit zur Rache an den herrschenden Mexica. Schließlich erreichte ein weiterer Bote im weißen Umhang und mit geflochtenem Haar Aztlan. Er berichtete, daß die weißen Caxtiltéca und ihre einheimischen Verbündeten nun in Tenochtitlan selbst, dem Herzen der EINEN WELT, einmarschiert seien. Unvorstellbarerweise befanden sie sich dank der persönlichen Einladung des einst mächtigen, inzwischen jedoch wankelmütigen Verehrten Sprechers Motecuzóma in der Stadt. Die Eindringlinge waren nicht einfach durch den Ort marschiert und in Richtung Westen weitergezogen, sondern hatten die Stadt besetzt und schienen die Absicht zu haben, dort zu bleiben.
Der Priester des Gottes Huitzilopochtli, der die Ankunft der Fremden am meisten gefürchtet hatte, schien in letzter Zeit sehr zufrieden, weil er jetzt sicher sein konnte, nicht von dem zurückkehrenden Quetzalcóatl um Amt und Würden gebracht zu werden. Doch seine Ängste erfaßten ihn gleich von neuem, als der Bote fortfuhr: »Auf ihrem Weg nach Westen haben die barbarischen Caxtiltéca in allen Städten und Dörfern jeden Teocáli-Tempel zerstört und jede Tlamanacáli-Pyramide dem Erdboden gleichgemacht. Sie haben die Statuen unserer Götter und Göttinnen umgestürzt und zerschlagen. An ihrer Stelle haben die Fremden das häßliche Bildnis einer nichtssagenden und einfältigen weißen Frau errichtet, die ein weißes Kind in den Armen hält. Diese Statuen, so sagen die Caxtiltéca, stellen eine menschliche Mutter dar, die einen kleinen Gott geboren hat, und sind das Fundament ihrer Religion, des Crixtanóyotl.« Unser Priester rang erneut die Hände. Offenbar war er dazu verurteilt, in jedem Fall von den Eindringlingen verdrängt zu werden, allerdings nicht von einem der großen und erhabenen Götter unseres Landes, sondern von einer neuen, unverständlichen Religion, die ihre Anhänger zwang, eine gewöhnliche Frau zu verehren und ein dummes kleines Kind.
Dieser Bote war der letzte, der aus Tenochtitlan oder aus einem anderen Ort im Land der Mexica zu uns kam und Nachrichten überbrachte, die wir als zuverlässig und glaubwürdig ansehen konnten. Danach hörten wir nur noch Gerüchte, die sich von einem Ort zum anderen verbreiteten und uns schließlich durch Reisende erreichten, die über Land zogen oder in Acáli-Kanus die Küste entlangfuhren. Aus diesen Gerüchten mußte man erst einmal alles Unmögliche und Unlogische aussondern – Wunder und Zeichen, die angeblich von Priestern und Hellsehern vorhergesagt worden waren, oder Übertreibungen, die man dem Aberglauben des niedrigen Volks zuzuschreiben hatte, und ähnliches mehr. Was danach übrigblieb und zumindest für möglich gehalten werden konnte, war schlimm genug.
Im Laufe der Zeit hörten wir erstaunliche Dinge und hatten keinen Grund, sie nicht zu glauben: Motecuzóma war durch die Hand der Caxtiltéca gestorben; zwei Verehrte Sprecher, die jeweils für kurze Zeit seine Nachfolge antraten, waren ebenfalls ums Leben gekommen; die ganze Stadt Tenochtitlan – Häuser, Paläste, Tempel, Marktplätze, ja sogar die mächtige Icpac Tlamanacáli, die Große Pyramide – war dem Erdboden gleichgemacht worden; alle Kolonien der Mexica und ihre tributpflichtigen Völker gehörten nun den Caxtiltéca; mehr und mehr schwimmende Häuser kamen über das Ostmeer und brachten immer neue weiße Männer ins Land. Die fremden Krieger schwärmten nach Norden, Westen und Süden aus, um auch andere, weiter entfernt lebende Völkerschaften und Länder zu erobern und zu unterwerfen. Den
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