Der Sohn des Donnergottes
Stimme:
»Ich bin zu allem bereit.«
Ajattaras Augen glänzten, und für einen Moment huschte ein Lächeln über das Gesicht der schönen Göttin. Rutjas Herz machte einen Sprung, und er wiederholte:
»Wirklich zu allem!«
Nun stellte Sampsa Pellervoinen fest, daß man Rutja so, wie er war, keinesfalls nach Finnland schicken konnte. Er wich in seinem Aussehen zu sehr von den Menschen ab, war unnötig groß, in unangemessener Weise behaart und sah viel zu wild aus. Wenn die Menschen ihn sahen, hätten sie Angst vor ihm, und die Mission mißlänge. Oder sie brächten Rutja auf der Stelle um, und das konnte ja auch nicht die Absicht der Götter sein. Selbst wenn Jesus seinerzeit in Israel geopfert worden war, hieß das noch lange nicht, daß man Rutja nach Finnland schicken sollte, um ihn dort gleich töten zu lassen.
Ronkoteus schlug vor, man könne die Angelegenheit so regeln, daß sich Rutja einen passenden Menschen aussuchen und mit diesem die Gestalt wechseln solle, um anständig nach Finnland zu gelangen. So etwas mußte einem Gott doch möglich sein, schließlich waren die Schutzgeister auch früher schon in Menschengestalt auf der Erde unterwegs gewesen, warum also nicht jetzt, wo es wirklich dringend notwendig war.
Ukko Obergott stand auf, winkte seinen Sohn zu sich heran und sprach:
»Rutja! Ich entsende dich zu den Finnen! Lebe dort so, wie es sich für den Sohn des Donnergottes gehört, verhalte dich wie ein Gott und Mann. Wenn du deine Aufgabe erfüllt hast, darfst du wieder in den Himmel auffahren, und ich gebe dir Ajattara zum Weibe. Wenn du aber meinen Namen beschmutzt, wird dich ein Blitz zu Asche verbrennen!«
Rutja ließ sich vor dem Donnergott auf alle viere nieder. In seinen Augen schimmerte eine dicke Träne, als er den Segen seines Vaters entgegennahm. Der Chor der Götter sprach die Schlußworte der Versammlung:
Sende, Ukko Obergott,
Donnerer am Wolkenrand,
schleunigst Rutja auf den Weg,
den perplexen Knaben!
Die Veranstaltung endete mit einem tosenden Gewitter. Überall in Finnland blitzte es am Himmelszelt, es regnete wie am Tage Esther, die Menschen fürchteten um ihr Leben. Dieses Unwetter hatten die Wetterstationen nicht voraussagen können. Am nächsten Tag erläuterte der Meteorologe Erkki Harjama den Fall eine halbe Stunde lang im Fernsehen und versicherte, daß sich so etwas nicht wiederholen werde.
»Wir haben die Satellitenbilder nicht rechtzeitig mit der Post bekommen…«
Sampsa Ronkainen beobachtete das Unwetter in seinem Antiquitätenladen in der Iso Roobertinkatu. Der Großstadthimmel war hell erleuchtet von Blitzen, die Rinnsteine waren überflutet, die Menschen rannten von einem Hauseingang zum anderen, und die Straßenbahn stand bewegungslos auf der Straße. In der Ferne ertönte das trostlose Heulen einer Sirene.
3
Der Antiquitätenhändler Sampsa Ronkainen erwachte gegen sechs Uhr früh im Hinterzimmer seines Ladens. Durch das Gewitter war die Luft frisch geworden, er fühlte sich gut und unbeschwert. Sampsa kochte Kaffee, machte sich zwei Käsebrote und las die Morgenzeitung: »Chinesen planen Erhöhung der Chinesischen Mauer«, »Weltkongreß der Humoristen in Dortmund«, »Präsident nimmt an Sackhüpfwettbewerb in Veteli teil«, »Erklärung der Alleinerziehenden zu den Gefahren der Ehe«. Nachdem er die Zeitung gelesen hatte, machte sich Sampsa an die Arbeit und schmirgelte mit sehr feinem Sandpapier den Aufsatzrocken eines Spinnrades ab, den er in der Vorwoche erstanden hatte. Es war ein savo-karelisches Modell, vermutlich Ende letztes Jahrhundert, das ein wenig Instandsetzung benötigte. Er genoß diese einsamen Morgenstunden über alle Maßen. Frau Moisander würde erst nach neun Uhr eintreffen, aber von da an würde der Tag dann auch verdorben sein.
Sampsa hatte sein Antiquitätengeschäft in einer ehemaligen Wohnung mit vier Zimmern und einer Küche eingerichtet, die sich seit Anfang des Jahrhunderts im Familienbesitz befand. Die Lage war gut, denn in derselben Straße gab es eine Reihe von An- und Verkauf-Läden, düstere Höhlen auf Straßenniveau, und Sampsas Geschäft hob sich vorteilhaft von ihnen ab: Es war geräumig, im Prinzip auch sauber, das Warenangebot war kostbar und übersichtlich ausgestellt. Die zum Verkauf stehenden Möbel waren im Salon und in der Eingangshalle aufgebaut. Als Lager dienten das Dienstmädchenzimmer sowie das große Schlafzimmer, in dem Sampsa während seiner Aufenthalte in Helsinki übernachtete. Auch Frau
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