Der Sohn des Donnergottes
Moisander noch nie ernsthaft nachgedacht. Sie liebte es zu hassen.
»Das Leben als alleinerziehende Mutter ist schon schwer«, klagte sie beim Betreten der Küche. »Aber das verstehst du nicht, weil du noch nie in deinem Leben für einen anderen Menschen Verantwortung tragen mußtest.«
Sampsa konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen, daß Frau Moisanders Sohn seines Wissens bereits volljährig sei und mit Höchstgeschwindigkeit auf dem von ihm, Sampsa, gekauften Motorrad durch die Gegend fuhr. Sie war überhaupt nicht mehr alleinerziehend!
»Die Verantwortung einer Mutter endet nie«, stellte Frau Moisander fest, während sie ihr dünnes, glattes Haar kämmte. Sampsa dachte, wenn man diese Haare zu einem Dutt aufrollen und durch diesen eine Stricknadel stecken würde, ergäbe das ein ziemlich schreckliches Resultat. Würde man ihr dann noch ein Monokel vor das eine Auge klemmen und die Strümpfe in Falten legen, könnte man Frau Moisander als Antiquität verkaufen: »alleinerziehende Mutter im funktionalistischen Stil, mit Sorgfalt restauriert, Gemeinheiten garantiert«.
»Das Finanzamt hat gestern angerufen. Das brachte mich auf den Gedanken, daß du mir dieses Jahr ein bißchen mehr Urlaub gönnen könntest.«
Sampsa fragte sich, worin der Zusammenhang zwischen diesen beiden Tatbeständen bestand.
»Sie behaupten, du verkaufst Sachen an der Buchhaltung vorbei. Was sagst du dazu?«
»Du verkaufst!« – Sampsa verkaufte gar nichts, schon seit Jahren nicht mehr, er regelte nur noch den Einkauf. Frau Moisander war die Verkäuferin, die Buchhaltung lag in ihren Händen. Zu dieser Jahreszeit pflegte sie immer den Finanzamttrumpf aus dem Ärmel zu ziehen. Diesmal sollte die Karte also einen längeren Urlaub einbringen. Sampsa seufzte.
»Du hast doch schon sechs Wochen Sommerurlaub und dann noch zwei Wochen Winterurlaub zusätzlich. Reicht das denn nicht? So wahnsinnig viel bringt der Laden nicht ein, das weißt du doch selbst am besten.«
Frau Moisander deutete auf das Empiresofa im Salon. »Verkauf dieses Ungetüm, und die Sache ist geritzt!«
»Das gebe ich auf keinen Fall her«, brüllte Sampsa.
»Begreifst du denn nicht, das ist die Grundlage eines vollständigen Mobiliars. Was haben wir noch zu erwarten, wenn wir nicht wenigstens einmal im Jahr eine wertvolle Komplettausstattung zusammenbekommen! Wegen dir werde ich noch zugrundegehen, das Geschäft wird Konkurs machen!« Frau Moisanders Interesse richtete sich nun auf eine Holzskulptur von etwa einem Meter Höhe, die im Salon auf dem Fußboden stand. Sie war aus grob bearbeiteter Kiefer und stellte eine schiefäugige Gestalt mit fliehender Stirn und grauenhaft verzerrtem Mund dar.
»Was ist das da eigentlich für ein Klotz?«
»Das ist eine Kultfigur.«
»Eine Kultfigur? Was für eine Kultfigur? Jugendstil?« Sampsa fing gar nicht erst an zu erklären. Es widerte ihn an, wie ungebildet die Moisander war. Es war harte Arbeit gewesen, ihr wenigstens die wichtigsten Stilrichtungen beizubringen. Dennoch verwechselte sie immer wieder Empire und Renaissance, von Funktionalismus und Jugendstil ganz zu schweigen.
»Ich nehme sie mit nach Pentele, sie ist nicht zu verkaufen«, erklärte Sampsa mit Blick auf die Kultfigur.
»Na gut, ich würde sowieso nicht anfangen, hier mit Brennholz zu handeln.«
Sampsa wickelte die Figur in Papier und trug sie zu seinem Lieferwagen. Trübsinnig fuhr er los. Tatsächlich hätte das Finanzamt gut und gerne Grund anzurufen. Er mußte den Laden den Sommer über schließen, bevor jemand auftauchte und alle möglichen Fragen stellte.
Es war unangenehm, nach Ronkaila zu fahren, weil dort Anelma, Sirkka und dieser faule »Bruder« auf ihn warteten, aber wegen der Moisander war es auch kein Vergnügen, in der Stadt zu bleiben. So war es, das Leben des Sampsa Ronkainen. Dort der Sumpf und hier Morast.
Plötzlich stellte sich Sampsa vor, wie es all diesen Personen erginge, wenn sie nach dem Tod in der Unterwelt landeten. Würden ihnen wenigstens dann die Leviten gelesen? Die Weiber würden auf die Fähre des Totenreiches geladen und auf dem tobenden Strom hinuntergelassen werden, direkt in die Hexenküche hinein.
Sampsa dachte, daß es gar nicht übel wäre, wenn der Herrscher der Hölle der Weiberschar den Hintern versohlen würde und dabei auch Sirkka Leppäkoskis »Bruder« seinen Teil abbekäme… Im Grunde wäre es richtig, wenn man die ganze Bande den Balg der Höllenschmiede treten ließe, Tag und Nacht, in Ruß und
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