Der Sohn des Donnergottes
Gott hat so seine Verpflichtungen. Außerdem wartete Ajattara im Himmel auf ihn. Begriff die Steuerprüferin denn nicht, daß es niemals zu einer Ehe zwischen einem Menschen und einem Gott kommen konnte?
Nach einigem Hin und Her löste schließlich Sampsa das Problem. Er schlug vor, unmittelbar nachdem er mit Rutja wieder die Gestalt getauscht hätte, an dessen Stelle zu treten und die Verantwortung für Helinä Suvaskorpi und ihr Kind zu übernehmen.
Pfarrherr Salonen war der Meinung, man solle exakt so verfahren. Im Grunde war das Kind doch mit Sampsa Ronkainens Samen gezeugt worden! Rutjas göttliche Gestalt war eigentlich gar nicht beteiligt. Es war also gar nichts Dramatisches geschehen! Die Steuerprüferin würde ihr Kind zur Welt bringen – ob Junge oder Mädchen, das spiele keine Rolle. Es war das gemeinsame Kind von ihr und Sampsa Ronkainen. Möglicherweise könnte man es für den Enkelsohn des Donnergottes halten, falls es ein Junge wäre. Da hätte der Kleine aber einen außergewöhnlichen Großvater!
So wurde es beschlossen. Sampsa und Rutja tauschten wieder die Gestalt, und versuchshalber verbrachte Sampsa ein paar Nächte mit Steuerprüferin Suvaskorpi. Beide beteuerten, der Tausch sei nicht zu spüren. Derselbe Körper, ein anderer Geist, das war alles.
Erleichtert rüstete sich Rutja, nun wieder in seiner eigenen, beeindruckenden Gestalt, zum Aufbruch. Er verabschiedete sich von allen, hielt im Hauptgebäude eine schlichte Abschiedsopferveranstaltung ab, verlas noch einmal seine sechs Gebote, forderte die Erdgeister und Wichtelmännchen auf, sich wieder in ihre Schlupflöcher zurückzuziehen und ermächtigte seine Jünger, den neualten Glauben unter den Finnen zu verbreiten und zu lehren.
Dann sandte Ukko Obergott einen winterlichen Gewittersturm nach Finnland, um seinen Sohn abzuholen. Auf dem Rücken eines Blitzes rauschte Rutja, der Sohn des Donnergottes, in himmlische Höhen davon.
Das Donnern und Leuchten der Blitze war so kolossal, daß es in sämtlichen Nachbarstaaten wahrgenommen wurde. Die seismischen militärischen Meßgeräte der Nato und der Sowjetunion registrierten ein ungestümes Lichtphänomen im südlichen Finnland. Sämtliche Satellitenbilder waren überbelichtet, weil die Naturerscheinung die gesamte nördliche Erdhalbkugel erleuchtete. Die Faxgeräte aller Nachrichtenredaktionen der Welt spuckten Texte über ein seltsames Flackern aus, das an Dreikönig Finnland und die nördliche Hälfte des Globus erhellt hatte. Propheten hielten es für ein Vorzeichen des Weltuntergangs. Die Militärs wiederum behaupteten, es könne sich nur um den ersten Weltraumversuch der Finnen gehandelt haben.
Der Militärattaché der Sowjetunion nahm gleich nach Dreikönig Kontakt mit dem Kommandanten der finnischen Streitkräfte auf und erkundigte sich, ob Finnland vergessen habe, was im Friedensabkommen von Paris 1948 geschrieben stand. Darin verpflichtete sich Finnland, auf den Besitz von Raketen und ähnlichen Angriffswaffen zu verzichten, und nun war entdeckt worden, daß die Finnen trotz des Vertrages eine Rakete ins All geschossen hatten, die größer war als diejenigen der beiden Supermächte. Der Militärattaché argwöhnte, daß Finnland heimlich und in böser Absicht im Laufe der Jahre eine Atomwaffe entwickelt habe, wie sie sich nicht einmal im Besitz der USA oder der Sowjetunion befand. Wie war das möglich? Was führte Finnland mit einem solchen Raketentest überhaupt im Schilde? Waren die Finnen verrückt geworden?
Das Außenministerium sowie das finnische Oberkommando versicherten, daß es sich keineswegs um einen Weltraumversuch gehandelt hatte, sondern vielmehr um ein ungewöhnlich starkes Gewitter, bei dem die Blitze unter Abweichung von der Normalität von der Erde in den Himmel schossen. Finnland hegte nicht die geringsten militärischen Absichten, gegen irgendeinen Staat der Welt vorzugehen. Und die Sowjetunion hatte am allerwenigsten von Finnland zu befürchten.
»Sie wollen behaupten, in Finnland würden die Blitze von der Erde nach oben in den Himmel geschossen? Und das auch noch mitten im Winter? Allem Anschein nach halten Sie uns Russen für ein wenig zurückgeblieben.«
Der Militärattaché forderte eine neutrale Untersuchung der Gegend um die Gemeinde Suntio. Der finnische Staat willigte ein, und so hielt sich während der folgenden zwei Wochen eine internationale Militärkommission in Suntio auf, die sich aus verschiedenen Weltraumwaffenexperten zusammensetzte. Mit
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