Der Sohn des Kreuzfahrers
»Aber ich bitte Euch, betet um Gottes Rat in dieser Angelegenheit. Ihr könnt dem Bischof Eure Entscheidung an Sankt Johann mitteilen.«
»Das wird nicht notwendig sein«, versicherte ihm Ranulf erneut. »Ich habe meine Entscheidung bereits getroffen, und ich werde sie nicht mehr ändern.«
»Wie Ihr wollt.« Mit diesen Worten stand der Abt auf, und Mur-do hatte den Eindruck, als wären sie alle unvermittelt entlassen worden, nachdem sie den Kirchenmann schrecklich beleidigt hatten.
Mit erhobenen Köpfen und gefalteten Händen verließen Abt Gerardus und seine Brüder die Halle in Richtung Hof. Herr Ranulf befahl seinen Söhnen, die Pferde der Kirchenmänner zu holen, und Murdo nutzte die Gelegenheit, um den Sattelgurt des Abtes zu lok-kern - nicht so, daß der Kirchenmann vom Pferd fallen würde, aber genug, um ihm einen unangenehmen Ritt zu bescheren.
Wieder zurück im Hof, nahm der Abt Murdo die Zügel aus der Hand, und ohne ein Wort des Dankes schwang er sich auf sein Pferd. »Pax vobiscum«, sprach er verärgert.
»Et cum spiritu tuo«, antwortete Ranulf, woraufhin der Abt sein Pferd herumdrehte und gefolgt von seinen drei schweigenden Gefährten den Hof verließ.
Nach dem Abendessen stritten der Herr von Dyrness und seine Gemahlin aufs heftigste miteinander. Bis spät in die Nacht hinein waren ihre Stimmen selbst durch die dicken Wände des Schlafgemachs hindurch zu hören. Nachdem sie die Tafel abgeräumt hatten, waren die Diener rasch verschwunden, um nicht den Unwillen ihres Herrn auf sich zu ziehen. Murdo saß allein vorm Kamin. Zwar konnte er nicht verstehen, was seine Eltern hinter verschlossener Tür sagten, doch aufgrund des Tonfalls war die Bedeutung der Worte unmißverständlich. Selbst der graue Wolfshund des Herrn lag schüchtern zusammengerollt in einer Ecke und hatte die Schnauze auf die Vorderpfoten gelegt.
»Was ist los mit dir, Jötun?« murmelte Murdo und warf ein Torfstück nach dem Hund. »Ich bin es, der von allen verlassen worden
ist.«
In dieser Nacht ging Murdo nicht zu Bett. Er war auch so schon entmutigt genug; auf das selbstgefällige Geschnatter seiner Brüder und seines Vetters konnte er verzichten. Statt dessen wanderte er über den Hügel hinter dem Haus, verfluchte sein Schicksal und den ungünstigen Zeitpunkt seiner Geburt. Er verlangte vom Himmel zu wissen, warum ausgerechnet er der Letztgeborene hatte sein müssen, doch weder die Sterne noch der bleiche Halbmond ließen sich dazu herab, ihm zu antworten. Das taten sie nie.
rSr uer Pferd ist gesattelt, Basileus«, verkündete Niketas. Alexios Kom-nenos, Kaiser der gesamten Christenheit, Gottes Stellvertreter auf Erden und Oberbefehlshaber der Kaiserlichen Armee, stand auf und hob die Arme. Zwei junge Waffenträger eilten herbei; einer trug das kaiserliche Schwert, der andere einen breiten Silbergürtel.
Gemeinsam legten sie ihrem Herrn das Schwert an und wichen anschließend schweigend zurück, während der alte Kammerherr Ge-rontios mit dem goldenen Stirnreif des Kaisers herbeischlurfte, der auf einem Kissen aus purpurner Seide lag. Alexios nahm den Stirnreif entgegen, setzte ihn sich aufs Haupt und wandte sich anschließend an seinen alten Diener. »Sind Wir bereit, Gerontios?«
»Der Basileus ist bereit«, antwortete der Kammerherr und verneigte sich.
»Dann komm, Niketas«, sagte der Kaiser und ging raschen Schrittes zum Ausgang. »Wir wollen doch nicht, daß der Feind glaubt,
Wir würden Uns in Unserem Zelt verkriechen. Er soll Uns an der Spitze unserer Truppen sehen und erkennen, daß Alexios sich vor niemandem fürchtet.«
Die beiden Männer verließen das kaiserliche Zelt, und der Kaiser trat auf den Steigblock, vor dem sein Lieblingshengst wartete. Alexios stellte den Fuß in den Steigbügel und schwang sich geschickt in den Sattel; dann ritt er unter den Jubelrufen der angetretenen Soldaten mit Niketas an der Seite, dem Kommandanten der Exkubi-ten, der Palastwache, langsam durchs Lager.
»Hör sie dir an, Niketas. Wie sie auf den Kampf brennen«, bemerkte Alexios. »Das ist gut. Wir werden ihren Appetit noch ein wenig mehr anregen, damit sie morgen ohne Reue Festmahl halten können.«
»Das Blut der Feinde wird ein angemessenes Opfer für Gott und seine Heilige Kirche sein«, erwiderte der Kommandant der Garde. »Amen.«
»Amen.«
Die beiden Männer erreichten den Rand des Lagers und ritten weiter. Sie folgten einem Pfad, der sie zu einem nahe gelegenen Hügel führte, auf dessen Kamm sie drei
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