Der Sohn des Kreuzfahrers
die Morgenmesse schon längst vorüber, und Murdo würde sich jetzt bereits mit Schweinebraten und Bier vollstopfen. Statt dessen war er jedoch in einer feuchten, dunklen Höhle von Kirche gefangen und lauschte dem nicht enden wollenden Geplapper eines Priesters, der zu allem Überfluß auch noch Latein sprach.
Warum mußte es von allen Tagen ausgerechnet dieser sein? Mur-do stöhnte innerlich auf und sinnierte über den ruinierten Tag. Für ihn stellte die Verschwendung eines guten Festtages eine Todsünde dar; dennoch hatte der Bischof in seiner typischen klerikalen Selbstsucht Sankt Johann zum Tag der Kreuznahme erklärt. Der einzige Trost - wenn auch nur ein schwacher - lag in der Tatsache, daß Mur-do in seinem Elend nicht allein war.
Tatsächlich war nicht nur die Kirche bis auf den letzten Platz gefüllt, sondern auch der Vorhof. Es wimmelte geradezu von Männern und Frauen von Rang, von Kaufleuten und Pächtern kleiner und großer Ländereien, die von allen Inseln der Orkneys herbeigeströmt waren. Hunderte von Inselbewohnern drängten sich aneinander, knieten wie Murdo auf dem harten Stein, hatten die Köpfe so tief gesenkt, daß sie beinahe den feuchtkalten Boden berührten und antworteten träge auf das murmelnde Geleier des Priesters.
Sie so zu sehen, mit gebeugtem Rücken, erinnerte Murdo an ein Feld aus Steinblöcken, und es kostete ihn viel Selbstbeherrschung, nicht einfach aufzustehen und von einem gekrümmten Rücken zum nächsten zu springen wie über die Steine in einer Furt. Statt dessen senkte auch er wieder den Kopf, schloß die Augen und versuchte, nicht an das verführerische Schweinefleisch und das Bier zu denken, das ihm entgangen war.
Als der Abt dann schließlich doch aufhörte, stand Murdo krank vor Hunger auf. Mißgelaunt und voller Verzweiflung starrte er nach vorne, als ein weiterer schwarzgewandeter Kirchenmann auf die Kanzel stieg, hoch über den nach oben gereckten Köpfen der im Hauptschiff versammelten Menge. Eine Weile stand Bischof Adalbert einfach nur da und blickte salbungsvoll auf seine Schäflein herab. Nachdem er befriedigt festgestellt hatte, daß alle Blicke auf ihn gerichtet waren, warf er die Hände empor und erklärte: »Dies ist der Tag
unseres Herrn!«
»Amen«, murmelte die Gemeinde. Für Murdo klang die vielstimmige Antwort wie das Meer, das an einem stürmischen Tag gegen das Ufer brandete.
Erneut warf der Bischof die Hände in die Höhe und wiederholte: »Dies ist der Tag unseres Herrn!«
»Amen.« Die Menge klang mehr und mehr wie die stürmische See.
»Amen!« rief der Bischof triumphierend. »Denn dies ist der Tag, da unser Herr und Erlöser den Dienst gläubiger Männer annehmen wird, die in seinem Namen im Heiligen Land kämpfen werden.«
Der Kirchenmann griff nach einem Pergament, das er theatralisch entfaltete. »Das hier«, erklärte er, »ist vor kurzem in meine Hände gelangt: eine Epistel unseres Heiligen Vaters, des Patriarchen von Rom, wie das Siegel beweist.« Er wedelte mit dem Pergament, so daß jedermann deutlich den roten Wachsfleck mit der goldenen Schnur erkennen konnte. Dann hielt Adalbert sich den Brief vor die Augen und begann, ihn vorzulesen: »>Bischof Urban, erster Diener unseres Herrn, an alle gläubigen Christenmenschen, seien sie Herr oder Knecht: Grüße, Gottes Gnade und der Segen der Apostel. Wir wissen, daß ihr alle schon von der Raserei der Barbaren gehört habt, die Gottes Kirchen verwüstet und - Wir schämen Uns, es auszusprechen - die heiligen Reliquien unseres Glaubens an sich gerissen haben, jene Gegenstände der Verehrung, durch die wir unseren Glauben erkennen und unsere Erlösung erlangen. Doch nicht damit zufrieden, nur unsere Kirchen zu zerstören, haben die Ungläubigen die heilige Stadt Jerusalem eingenommen und halten die Getreuen Gottes davon ab, auf geheiligtem Boden zu beten.<«
Der Bischof hielt kurz inne, um den Zuhörern Gelegenheit zu geben, den Ernst der Lage zu begreifen. »Voller frommer Trauer ob dieser Katastrophe««, fuhr Adalbert unvermittelt fort, so daß Murdo unwillkürlich zusammenzuckte, »fordern Wir jeden Fürsten und jedes Volk des Westens auf, an der Befreiung der Ostkirche mitzuwirken. Wer soll dieses Unrecht rächen, wer die heiligen Reliquien und das Heilige Land befreien, wenn nicht ihr? Ihr, Unser Volk, seid die Auserwählten, denen Gott die Kraft, den Geist und den Mut verliehen hat, den Stolz all jener zu brechen, die sich euch und seiner Kirche widersetzen.<«
Adalbert
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