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Der Sohn des Kreuzfahrers

Titel: Der Sohn des Kreuzfahrers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Lawhead
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goldhaarige Ragna, die sich ihm über das Grün näherte. Die dunklen Wolken der Verzweiflung teilten sich, und die Sonne schien wieder auf Murdo.
    Groß, gertenschlank, blaß und wohlgeformt verkörperte die glatthäutige Ragna Murdos Vorstellung von weiblichen Reizen. Sie besaß ein freundliches Wesen, war aber weder übertrieben scheu noch -nach Murdos Geschmack - allzu weiblich. Klug und mit einer dazu passenden, scharfen Zunge, vermochte sie sich in jeder Gesellschaft zu behaupten, und Murdo respektierte das. Ihm erschien ihre offene Art mehr jungen- als mädchenhaft, und bei jedem Treffen beeindruckte ihn dies von neuem. Zu diesen seltenen Gelegenheiten fragte er sich stets, ob dieses Verhalten in der Tatsache begründet lag, daß sie in einer Familie von Männern aufgewachsen war, oder ob es von der Verunstaltung herrührte, die aus ihrer Kindheit stammte.
    Wie Murdo gehört hatte, war sie noch ein Kleinkind gewesen, als Herr Brusis Hirte ein Schreien im Schweinepferch gehört hatte, woraufhin er herbeigeeilt war und Ragnas leblosen Körper inmitten der Schweineherde gefunden hatte. Der Hirte vertrieb die Tiere, hob das vermeintlich tote Kind auf und warf es in einen Wassertrog, um Blut und Dreck von dem kleinen Leib abzuwaschen. Das kalte Wasser erweckte Ragna jedoch wieder zum Leben, und der Schweinehirt rannte mit dem Kind im Arm zum Herrenhaus, wo man sich um ihre Wunden kümmerte. Allerdings war der Schaden nicht mehr rückgängig zu machen gewesen: Ragnas verdrehter Fuß war nie wieder gerade gewachsen, was die Ursache für ihr leichtes Hinken war. Die schreckliche Wunde an ihrem Mund war zwar mit der Zeit weitgehend verheilt, doch wann immer sie lächelte, konnte man die Spuren der Verletzung noch immer erkennen: Ihr rechter Mundwinkel wurde von einer hauchdünnen Narbe durchzogen, was ihrem Lächeln stets etwas Verschlagenes verlieh.
    Aber für Murdo war das alles ohne Bedeutung; er hatte diese Makel nie als Beeinträchtigung ihrer Schönheit betrachtet. Für ihn war sie gut, freundlich und klug und weit besser als ihre oder seine Brüder. Nach jedem der wenigen und unregelmäßigen Male, da sie zusammen waren, sehnte er sich nach einem weiteren Treffen; stets hatte er das Gefühl, als hätte man ein Festmahl vor ihm ausgebreitet und ihm lediglich gestattet, eine Kostprobe davon zu nehmen.
    Jetzt betrachtete er sie in ihrem blaßgrünen Kleid mit dem gelben Umhang und dachte, daß sie noch nie so weiblich ausgesehen hatte. Murdos Herz schlug immer schneller. Er sog ihren Anblick förmlich auf und spürte, wie sein Herz einen Freudensprung vollführte. Daß das Fest ruiniert war, hatte er vergessen.
    Dann erinnerte er sich daran, daß er nicht allein war. Murdos Blick huschte zu Torf, Skuli und Paul, die offenbar noch nicht bemerkt hatten, daß der Maddardson-Clan sich zu ihnen gesellen wollte. Gut, dachte er und atmete erleichtert auf, sie hatten Ragna noch nicht gesehen.
    Dann hob Torf den Blick, sah die sich nähernde Familie und stieß Skuli mit dem Ellbogen zwischen die Rippen. Auch Paul wandte sich in die Richtung, in die seine Vettern blickten, und Murdo beobachtete, wie sich ein animalisches Grinsen auf den Gesichtern der drei abzeichnete. Skuli machte eine ordinäre Geste mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger, dann kicherten die drei anzüglich. Murdo genierte sich dermaßen, daß er wünschte, die Erde würde sich auftun und seine Brüder und seinen Vetter mit Haut und Haaren verschlingen.
    Ragna wiederum blickte ruhig und gelassen geradeaus. In ihren haselnußfarbenen Augen unter den fein geschwungenen Augenbrauen zeigten sich keinerlei Anzeichen von Unruhe; ihre Lippen formten weder ein Lächeln, noch waren sie mißbilligend verzogen, und ihrem vornehmen Gesicht nach zu urteilen, war ihr das, was um sie herum geschah, vollkommen gleichgültig. Murdo hatte sogar den Eindruck, daß Ragnas Füße nicht über das schlichte Gras des Klosterhofes wanderten, sondern über Blumenfelder weit jenseits der Mauern dieses Ortes. Offenbar betrachtete sie die langweiligen Vorgänge um sie herum als ihrer Aufmerksamkeit unwürdig. Und warum auch nicht? Schließlich war Ragna edler als jede noch so hochgestellte Prinzessin.
    Brusi Maddardson und seine Gemahlin Ragnhild begrüßten Murdos Eltern, dann stellte der Herr von Hrolfsey seine Söhne formell dem Herrn und der Herrin von Dyrness vor. Murdo mußte feststellen, daß die Männer - Väter und Söhne gleichermaßen - allesamt weiße Kreuze in Händen

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