Der Sohn des Kreuzfahrers
unerwarteten Wendung zum Guten. Die Tafel des Bischofs! Verschwenderische Gaben, unglaublicher Überfluß - wer hätte das gedacht?
Der Mönch führte sie über den überfüllten Hof, durch einen Torbogen und auf einen sonnigen, großen Klosterhof, auf dessen Rasen mindestens zehn lange Tische aufgestellt worden waren. Eine beachtliche Menschenmenge hatte sich bereits dort versammelt, und zu Murdos wachsendem Entsetzen strömten immer mehr Gäste durch die verschiedenen Eingänge des Kreuzgangs herein.
Da noch niemandem gestattet worden war, sich zu setzen, schwärmten die Menschen über den Rasen und warteten ungeduldig auf die Aufforderung zum Essen. Es waren so viele! Hatte der Bischof die gesamte Gemeinde eingeladen? Selbst eine grobe Schätzung reichte aus, um Murdo davon zu überzeugen, daß er von Glück reden konnte, sollte er auch nur eine einzige Brotkrume mit ein paar Tropfen Sauce ergattern. Und das ausgerechnet an einem solchen Festtag, der für Murdo nur noch vom Julfest übertroffen wurde! Damit verglichen waren alle anderen Feiertage trostlos und langweilig, denn sie waren zumeist mit endlosen Gottesdiensten, Gebeten und der Einhaltung unverständlicher Regeln verbunden. Aber Mur-do betrachtete diese Tage sowieso nicht als richtige Festtage, da an ihnen kein Festmahl aufgetragen wurde, und auch um die Arbeit kam er an diesen Tagen nicht herum, im Gegenteil: Da man den Großteil des Tages in der Kirche verbrachte, mußten die meisten Arbeiten spät abends im Dunkeln erledigt werden, und das war etwas, was Murdo zutiefst verabscheute.
Das Fest des heiligen Johannes des Täufers war jedoch etwas vollkommen anderes. Zwar mußte man auch an diesem Tag die Kirche besuchen, doch wurde man anschließend mit gutem Fleisch, Bier und Zuckergebäck belohnt. Gelegentlich wurde aus diesem Anlaß auch der ein oder andere Priester an Ranulfs Tafel geladen - eine Einladung, die noch nie abgelehnt worden war, wie Murdo bemerkt hatte -, und das machte das Fest sogar noch besser. Auch wenn Mur-do die Anwesenheit von Kirchenmännern stets als störend empfand, bedeutete sie doch, daß der Herr und die Herrin das beste Essen auffahren ließen. Auch gesellten sich oft Bauern von benachbarten Höfen zu den Feiernden und brachten zusätzliche Speisen und Getränke, so daß dieses Fest die Bezeichnung wirklich verdiente. Außerdem fiel der Tag des heiligen Johannes in den Mittsommer, so daß die Feiern unweigerlich bis in die späten Abendstunden andauerten.
Aber jetzt. Jetzt war der Tag ruiniert. Murdo beobachtete, wie die Menge immer größer wurde, und alle Hoffnung schwand dahin; er konnte sich nicht vorstellen, wie man so viele Menschen mit Speisen versorgen, geschweige denn ihnen ein Festmahl bereiten konnte. Sicherlich gab es in ganz Orkneyjar nicht genug Zuckergebäck und Bier für alle hier Anwesenden. Murdo knurrte der Magen, und kein Festmahl in Aussicht.
Er war noch immer mit diesen trostlosen Gedanken beschäftigt, als er hörte, wie jemand nach seinem Vater rief. Mißgelaunt drehte sich Murdo um, um zu sehen, wer sich da zu ihnen gesellen wollte. Er kannte den Mann, der zielsicher mit seiner Familie im Schlepptau über den Rasen auf sie zuhielt: Es war Herr Brusi Maddardson.
Wie Ranulfs Familie so bewirtschaftete auch der Maddardson-Clan ein großes Gut - wenn auch auf der Insel Hrolfsey -, und somit war Brusi Maddardson in denselben Versammlungen vertreten wie Murdos Vater. Mehr noch: Murdos Mutter und Maddardsons Frau Ragnhild waren als Kinder eng miteinander befreundet gewesen und hatten diese Freundschaft über die Jahre hinweg am Leben erhalten. Der Herr von Hrolfsey besaß drei Söhne, deren jüngster in Torfs Alter war, und eine Tochter, Ragna, die nur ein oder zwei Jahre älter war als Murdo.
Aufgrund seines Alters hatten sich die Brüder Maddardson nie für Murdo interessiert. Sie bevorzugten die Gesellschaft von Torf und Skuli und schlossen Murdo häufig vollkommen aus. Allerdings machte das Murdo nicht sonderlich viel aus, denn er empfand die älteren Jünglinge als leichtfertig und laut; Kämpfen und Prahlen schienen ihre einzigen Interessen zu sein.
Ah, aber Herr Brusis Tochter unterschied sich von ihren Brüdern wie der Tag von der Nacht. In Murdos Augen war sie der einzige Lichtblick im gesamten Maddardson-Clan. Und am heutigen Tag mit all seinen Enttäuschungen und Beleidigungen kam ihm der Trost ihrer Anwesenheit gerade recht. Tatsächlich genügte sogar ein einziger Blick auf die
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