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Der Sohn des Sehers 01 - Nomade

Titel: Der Sohn des Sehers 01 - Nomade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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es ihm wieder eingefallen.
    »Und wann?«, fragte Curru streng.
    Awin zögerte mit der Antwort. Er wartete auf einen weiteren Tadel seines Meisters, aber der kam nicht. Der Zeitpunkt war schwierig zu bestimmen. Das Gras hatte sich gebeugt, der Wind war stärker geworden. Awin blickte zur Sonne. Dann auf den Boden. Für einen Augenblick schien das Gras sich rot zu färben.
    Curru wirkte plötzlich geistesabwesend. »Erschütterung«, murmelte er nachdenklich.
    Awin dachte fieberhaft nach. Das rote Gras war ein Zeichen, oder? Andererseits hatte die Sonne ihn geblendet. Deshalb hatte er das Gras in einer anderen Farbe gesehen, oder? Das ungute Gefühl, das ihn seit dem Aufstehen begleitet hatte, trat jetzt klar und deutlich hervor. Er hatte plötzlich einen Geschmack von Eisen im Mund, und ihm war elend zumute. »Es ist bereits geschehen, Meister«, sagte er schließlich leise. Für gewöhnlich gab er nicht viel auf die alten Sprüche, die seit Generationen von Seher zu Seher weitergegeben worden waren. Curru hatte hunderte davon im Kopf. Sie waren meist so allgemein gehalten, dass sie auf irgendeine Weise immer eintrafen. Ob der Wolf nun über den Hügel kam oder in der Senke lauerte - was sollte das über den kommenden Winter aussagen? Die Winter waren meist streng, das Vieh im Frühjahr immer zu mager, und ein Unglück vorauszusagen war leicht. Das Leben der Hakul war hart und gefährlich, der Tod ein steter Gast in ihren Zelten und Begleiter auf den Weiden.
    Doch der Schauer, der Awin über den Rücken lief, sprach
eine andere Sprache. Es war etwas beinahe Greifbares im Wind, im Gras, selbst im Sonnenlicht. Es war etwas geschehen, etwas Furchtbares! Awin drehte sich um. Am Horizont standen unerschütterlich die Schwarzen Berge, die heiligen Berge der Hakul. Der Legende nach hatten ihre Vorfahren dort Zuflucht gefunden, als vor vielen Altern die Welt gewandelt und die Goldenen Städte der Menschen zerstört worden waren. Von dort waren sie ausgezogen in die karge Steppe, die sie seither mit ihren Herden durchwanderten.
    Die Geier des Gebirges! Dutzende der Aasfresser nisteten dort und flogen weit über die Steppe, immer auf der Suche nach Aas. Wenn die Wölfe ein Tier erbeutet hatten, dann pflegten sie sich darüber zu sammeln. Aber Awin sah immer noch nicht mehr als die beiden, die dort schon seit längerem ihre Kreise zogen. Er suchte den Himmel ab. Eigentlich sollten sie jetzt von überall herangleiten, denn ihren scharfen Augen entging nie, wenn einer der ihren eine Beute erspäht hatte. Aber es waren weit und breit keine Geier zu sehen.
    »In den Bergen«, stieß Awin hervor. »Dort muss etwas geschehen sein.«
    Curru schüttelte wieder mürrisch den Kopf. »Du sollt nicht denken wie ein Jäger, auch nicht raten oder vermuten - du sollst sehen!«, schimpfte er.
    Awin konnte es nicht ändern, er vertraute eben lieber auf seinen Verstand als auf die alten, ungenauen Sprüche. Er blickte wieder zu den steilen Bergen, die das Staubland hier von der offenen Wüste, der gefürchteten Slahan, trennten. Der Himmel über ihnen war nicht blau, sondern von fahlem Weiß.
    »Sag, mein Junge, hattest du in dieser Nacht einen Traum?«, fragte Curru unvermittelt.
    Awin runzelte die Stirn. Er hasste diese Frage. Vermutlich stellte sein Ziehvater sie deshalb so oft. Es war etwas geschehen,
das spürte er. Aber Curru saß auf seinem Pferd, als ginge ihn das nichts an. Sein Blick ruhte streng auf seinem Schüler.
    »Die Nacht war sehr kurz, Meister«, wich Awin aus.
    »Das sieht man dir auch an, Junge«, entgegnete Curru trocken, »aber das ist keine Antwort.«
    Awin seufzte. Sein Lehrer hatte leider das Recht, von seinen Träumen zu erfahren. Tengwil, die große Schicksalsweberin, sandte den Sehern ihre Botschaften auf viele Weisen. Sie versteckte sie in Wolfsfährten, im Wind, im Gras und manchmal eben auch in Träumen.
    »Ich sah ein Mädchen. Sie pflückte Blumen.«
    »Wer war das Mädchen? Und welche Farbe hatten die Blüten?«
    Awin versuchte sich zu erinnern. Das Mädchen war ihm fremd erschienen. Und er hatte sie nur schemenhaft sehen können: Sie trug schwarz, wie die meisten Hakul seines Stammes. Er versuchte sich genauer zu erinnern, aber es gelang ihm nicht. Wenn die Träume Botschaften der Schicksalsweberin waren, warum verblassten sie dann nur so schnell? »Ich weiß es nicht, ich sah das Mädchen nur aus der Ferne und von hinten. Ich weiß nur, dass sie die Blumen im Schatten einer Mauer pflückte.« Jetzt stand Awin

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