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Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger

Titel: Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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Heolin abspenstig zu machen. Noch fürchteten die beiden wohl die Macht, über die die »Hexe« gebot, doch würde das ewig so bleiben? Nein, Merege hatte recht. Eri und Curru würden irgendwann wieder etwas unternehmen, um den Stein an sich zu bringen. Er musste auf der Hut sein.
     
    Am nächsten Morgen war der Himmel mit dichten grauen Wolken überzogen und die Luft milder als an den Vortagen. Die weiße Decke aus Raureif, die das Land seit Tagen überzogen hatte, war verschwunden, aber eine nasse Kälte kroch unter die Gewänder der Hakul. Es sah nach Regen aus. Sie saßen beim kargen Frühstück, als auf einmal einer der Männer rief: »Seht nur, der Bussard.«
    Awin hatte den Vogel schon gesehen, als er noch mit weit ausgebreiteten Schwingen seine Kreise über dem Lager gezogen hatte. In der Überlieferung der Seher gab es viele Zeichen, die den Bussard betrafen. Ein einzelner kreisender Bussard war jedoch nicht ungewöhnlich, also hatte ihm Awin keine weitere Beachtung geschenkt. Jetzt jedoch folgte er dem Blick des Rufers und sah den Raubvogel wie einen Stein vom Himmel fallen. Er musste dicht beim Lager eine Beute ausgemacht haben. Der Bussard entschwand hinter einer Hecke ihren Blicken, ein misstönendes Krächzen erklang, und eine Krähe floh in den Himmel. Der Bussard tauchte dicht hinter ihr auf. Vereinzelt erklang Jubel an den Lagerfeuern. Krähen galten als Diener des Totengottes, und auch wenn die Hakul Uo alle Achtung entgegenbrachten, die ihm gebührte, so hassten sie die Aasfresser doch aus tiefstem Herzen. Awin fand den Jubel verfrüht. Der Bussard musste jung und unerfahren sein, wenn
er versuchte, eine Krähe zu schlagen. »Er wird es bereuen«, sagte er.
    Der alte Blohetan neben ihm nickte weise.
    »Aber er kann es schaffen«, rief Dare begeistert, »sieh nur, Meister Awin, gleich hat er sie.«
    »Ich sehe nur, dass diese Krähe viele Schwestern hat«, entgegnete Awin trocken.
    Der Bussard bemerkte das erst, als es beinahe zu spät war. Aus den Bäumen stiegen krächzend Krähen zu Dutzenden auf, und einige stürzten sich auf den viel größeren Raubvogel. Der Jäger wurde zum Gejagten. Mühsam wich der Räuber den Krähen aus, die aus allen Richtungen auf ihn herabstürzten und nach ihm hackten. In höchster Not glitt er unter einer Weide hindurch und versuchte dann mit mächtigen Flügelschlägen, Höhe zu gewinnen. Die Krähen folgten ihm hartnäckig, und der junge Bussard musste Federn lassen. Noch lange hörten sie seine hellen Schreie und das Krächzen seiner Verfolgerinnen, die immer wieder auf ihn herabstießen.
    »Ist das ein Zeichen, Meister Awin?«, fragte Dare ehrfürchtig.
    »Natürlich ist es das, mein Junge«, antwortete Curru an Awins Stelle, »doch sollten wir noch ein wenig warten, bevor wir es deuten. Ich muss sehen, wie die Krähen zurückkehren.«
    Doch bevor es dazu kam, tat sich etwas im Lager. Der Eingang von Kluwes Zelt war geöffnet worden, und Awin schloss sich den anderen Hakul an, die neugierig zusammenströmten. Dann erschien ein junger Krieger, der einen alten Mann am Arm führte.
    »Ich glaube fast, er muss älter sein als deine Ahnmutter, Merege«, sagte Awin.
    Die Kariwa lächelte, und es wirkte eine Spur herablassend. Natürlich, wenn stimmte, was sie ihm erzählt hatte, war Senis
schon alt gewesen, als die Großmutter ihrer Großmutter geboren wurde. Aber das war sicher nur eine Geschichte so wie die, dass Senis von den Riesen abstammte. Doch das hier, das war Wirklichkeit. Der alte Kluwe wurde herausgeführt. Sein wettergegerbtes Gesicht bestand aus tausend Falten und Runzeln, und seine Augen lagen so tief in den Höhlen, dass Awin sich schon fragte, ob er überhaupt welche hatte. Er war immer noch groß, doch konnte er sich nur mit Mühe aufrecht halten. Das Gehen fiel ihm schwer und wäre ihm ohne den stützenden Arm des Kriegers vielleicht gar nicht möglich gewesen. Zwei weitere Hakul brachten einen mit Schaffellen gepolsterten Stuhl, der nahe beim Feuer aufgestellt wurde. Es dauerte eine Weile, bis der Alte Platz genommen hatte. Jede seiner langsamen Bewegungen schien ihm Schmerzen zu bereiten. Aus dem ganzen Lager strömten die Krieger zusammen. Kluwe winkte den jungen Krieger, der ihn geführt hatte, näher zu sich heran und flüsterte ihm etwas zu. Der Jungkrieger lauschte, dann richtete er sich auf und sagte mit heller Stimme: »Ich hörte, dass ein neuer Sger ins Lager gekommen ist. Ich hörte die Namen von fünf Sippen.« Dann beugte er sich

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