Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger
Lagers. Entzündet hatten diese Feuer Sgers von den Klans des Sperbers und des Widders, die sich erst am Morgen hier getroffen hatten. Wie Awin erfuhr, war das nicht ganz zufällig geschehen. »Habt ihr es nicht gehört?«, fragte der Yaman des Sperber-Klans erstaunt, »Horket ruft die Klans ins Ahnental.«
»Vielleicht überhörten wir es, weil uns immer noch Slahans verfluchte Winde in den Ohren gellen«, antwortete Curru missmutig. Seine Laune war noch schlechter geworden. Sein Blick wanderte immer wieder hinüber zu dem alten Rundzelt, das die Mitte des Lagers beherrschte. Auch Awin fragte sich, was es damit auf sich hatte. Curru schien irgendetwas darüber erfahren zu haben, was ihm nicht gefiel, aber das kümmerte Awin im Augenblick nicht, denn der Yaman hatte vom Ahnental gesprochen. Ein Name, der Awin nicht kaltlassen konnte.
»Der Heredhan ruft uns alle zusammen. Er will beraten, was wir gegen die Göttin und ihren Sturm tun können«, erklärte der Yaman, der Werek gerufen wurde.
»Uns alle? Wir sind Horket nicht verpflichtet«, erwiderte Curru. »Es ist anmaßend genug, dass er das Ahnental beansprucht.«
Werek sah Curru nachdenklich, ja, beinahe belustigt an. »Welchem stolzen Klan gehörst du an, Freund, dass du in diesen schweren Zeiten dem Heredhan das heilige Tal streitig machen willst?«
Awin hörte kaum zu. Das Ahnental. Es lag in den Blauen Hügeln. Die dornenreichen Weiden dort waren die Heimat seines Klans gewesen zu einer Zeit, als die Hakul noch nicht auf die Idee gekommen waren, etwas »ihr Land« zu nennen. Horket hatte das geändert.
»Ich bin Curru, Seher vom Klan der Berge«, rief sein ehemaliger Meister aufgebracht, »und Horket mag tun, was er will, doch werde ich ihm nicht die Stiefel lecken, so wie andere.«
Wereks Miene verfinsterte sich. »Ich habe viel von deinem Klan gehört, Seher, aber nur wenig Gutes. Ich sehe auch, dass du auf Streit aus bist, und ich würde ihn annehmen, wenn ihr nicht unsere Gäste wärt.«
Curru lachte bitter auf, drehte sich um und ging davon. Awin fühlte sich verpflichtet, ein gutes Wort für seinen Klanbruder einzulegen: »Du musst ihm verzeihen, seine Frau ist Slahan zum Opfer gefallen, und sein Zorn gilt der Gefallenen Göttin, nicht dir, Yaman Werek.«
»Auch mein Klan hat Verluste erlitten, dennoch achten wir weiter die Gebote der Götter«, lautete die etwas herablassend klingende Antwort.
»Wie viele Seelen habt ihr verloren?«, fragte Awin.
»Seelen? Keine, denn Kluwe hat uns gewarnt. Doch haben wir etliche Pferde und Schafe eingebüßt.«
»Kluwe, der Seher?«, fragte Awin erstaunt und überging die Dreistigkeit, mit der der Yaman die Verluste von Vieh und
Mensch gleichsetzte. »Ich wusste nicht, dass er in eurem Klan lebt.«
»Er ist oft im Winter bei uns, denn wir erweisen ihm die Ehre, die er verdient. Und er hat es uns in diesem Jahr reich gedankt«, sagte Werek stolz. Dann rief ihm einer der Krieger etwas zu, und der Yaman ließ Awin stehen, um zu sehen, was seine Aufmerksamkeit erforderte.
Jetzt wusste Awin, was Curru so zusetzte: Der alte Kluwe war eine Legende. Er hatte einst einer Sippe angehört, die irgendwann auseinandergefallen war, wie es manchmal geschah. Er hatte sich nie einem neuen Klan angeschlossen, sondern zog seither allein über die Weiden von Srorlendh, lebte eine Zeit lang bei dieser, dann bei einer anderen Sippe. Man sagte von ihm, er habe wenigstens einmal am Feuer jedes einzelnen Klans eines jeden Stammes gesessen. Jahr für Jahr wanderte er über die Weiden, wurde älter und älter und schien doch nicht zu sterben. Manchmal, wenn ihm danach war, nahm er Schüler auf, die dann mit ihm zogen und von ihm unterwiesen wurden. Und Curru war vor langer Zeit einer jener Schüler gewesen. Offenbar schmeckte es Awins altem Lehrer nicht, nun seinem eigenen Meister zu begegnen. Awin war hingegen sehr gespannt, was für ein Mensch der legendäre Kluwe wohl sein mochte. Doch es war schon spät geworden. Der Seher hatte sich in sein Zelt zurückgezogen und war bis zum nächsten Morgen für niemanden zu sprechen. Awin fühlte sich seltsam. Kluwe war die eine Sache, aber das Ahnental war noch eine ganz andere. Er war noch nie in dieser Gegend gewesen und wusste nicht, dass sie den Blauen Hügeln so nahe gekommen waren. Irgendwo in diesen Hügeln war er geboren. Er fragte sich, ob er Gelegenheit finden würde, sie zu besuchen. Doch nach allem, was er in Erfahrung bringen konnte, lagen sie nicht auf dem Weg, den er
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