Der Sokrates-Club
Mutter wohl den Würfel suchen? Sehr kleine Kinder erwarten, dass die Mutter den Würfel unter dem Becher sucht, unter dem sich der Würfel tatsächlich befindet. Man kann dies folgendermaßen interpretieren: Das Kind weiß ja, dass sich der Würfel nun unter dem anderen Becher befindet, und es kann sich nicht in die Situation der Mutter versetzen, es ist nicht in der Lage, sich vorzustellen, wie sich die Überzeugungen der Mutter bilden. Ein älteres Kind wird sich hingegen erinnern, dass die Mutter gesehen hat, wie der Würfel unter den jeweiligen Becher gelegt wurde, und folglich bei ihrer Rückkehr erwarten wird, dass sich der Würfel immer noch dort befindet. Diese Fähigkeit wurde bei unserer Arbeit mit den Kindern bestätigt und zeigt sich ebenfalls deutlich in den von uns geführten Gesprächen.
In der Tierforschung, speziell der Verhaltensforschung bei Tieren, der Ethologie, spricht man hier vom Vorhandensein einer theory of mind und entwickelt Experimente, um festzustellen, ob ein Tier über diese Fähigkeit, sich in die Meinungsbildung einer anderen Person hineinzuversetzen, der anderen Person Überzeugungen zuzuschreiben, verfügt oder nicht. So liegt es zum Beispiel nahe, dass Täuschungsverhalten bei Tieren voraussetzt, dass diese über eine theory of mind verfügen, sofern diese Täuschung bewusst vollzogen wird. Es gibt zahlreiche empirische Befunde, die dafür sprechen, dass Menschenaffen über eine theory of mind in diesem Sinne verfügen.
Kinder sind also ab einem bestimmten Alter in der Lage, nicht allein zwischen Täuschung und Wahrheit zu unterscheiden, sondern die verschiedenen Qualitäten einer Aussage, im Spektrum zwischen Wahrheit und Lüge, zu unterscheiden und entsprechend zu reagieren.
»Also, Wissen ist im Gehirn gespeicherte Daten!«
Rationalität und Wahrheit
Epistemische Rationalität ( » epistêmê« bedeutet WissenoderWissenschaft) ist eine bestimmte Form der Vernunft, in der es um Gründe für Überzeugungen geht. Das Ziel, die Vorkommnisse, wie sie sich tatsächlich zugetragen haben, korrekt wiederzugeben, ist keineswegs selbstverständlich. So hat sich etwa die Geschichtsschreibung in Europa erst relativ spät als eine Disziplin entwickelt, die um die objektive Wiedergabe des Geschehenen bemüht ist. Schließlich gibt es ganz andere Motive, Geschehnisse aufzuschreiben, etwa der Ruhm eines Feldherrn oder eines Fürsten, der diese Texte möglicherweise in Auftrag gegeben hat. Warum sollte ein Feldherr Interesse daran haben, dass der tatsächliche Verlauf der Schlacht so beschrieben wird, wie er sich zugetragen hat, wenn dies seinem höheren Ruhm abträglich ist? Warum sollte der Historiker ein Interesse daran haben, die Geschehnisse möglichst objektiv wiederzugeben? Wir können als Zeitungsleser täglich feststellen, dass viele Berichterstatter offenbar ein starkes Interesse haben, die Dinge so zu berichten, dass sie der eigenen politischen oder weltanschaulichen Position förderlich sind. Die strikte Trennung von Kommentar, in dem die eigene Meinung zum Ausdruck kommt, und Bericht, der die Sachverhalte möglichst objektiv schildert, lässt sich selten konsequent durchhalten. Viele bemühen sich jedoch nicht einmal um eine möglichst adäquate Darstellung von Sachverhalten, bevor sie sich eine Meinung zu ihnen bilden, vielmehr wählen sie die Sachverhalte aus, die ihrer vorgefassten Meinung günstig sind, und unterschlagen jene, die sie erschüttern könnten.
An dieser Stelle liegt ein philosophischer Einwand auf der Hand: Gibt es so etwas wie Realität eigentlich? Realität,ist das nicht eine naive Vorstellung? Ist Realität nicht immer abhängig von unseren Begriffen, der Art und Weise unserer Wahrnehmung, unserer subjektiven Perspektive?Die philosophische Realitäts- und Objektivitätsskepsis gibt es seit der Antike in unterschiedlich radikaler Form. Der antike Philosoph Gorgias wird mit der Äußerung zitiert: » Es gibt nichts, und wenn es etwas gäbe, könnten wir es nicht erkennen. Wenn wir etwas erkennen könnten, könnten wir es nicht mitteilen.« In der europäischen Antike, aber auch in einzelnen Richtungen des Buddhismus ist eine radikale philosophische Skepsis Teil der Lebenskunst. Die Leere spielt im japanischen Zen-Buddhismus eine zentrale Rolle. Die Antwort des philosophischen Idealismus, einer sich im 18. Jahrhundert in Deutschland entwickelnden, auf spezifischen Ideen der Aufklärung beruhenden Philosophie, auf die Skepsis ist, dass wir sehr wohl etwas
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