Der Sokrates-Club
können, dass die Überzeugungen einer Person sich in einer bestimmten Weise äußern, dass wir unserer Lebenswelt nicht fremd werden. Auch wenn ich also eventuell einzelne braune Haare zwischen den blonden habe, die ohne wissenschaftliche, technische Hilfe nicht zu sehen sind, wie von den Kindern im Gespräch angedeutet, ist der ausschließlich rationale Verlass auf die Wissenschaften in unserer Alltagswelt irrtümlich. Wissenschaftliche Erkenntnis muss sich mit unserer Erfahrungswelt decken, um überzeugend zu sein.
Die Rolle der Philosophie bei der Suche nach Wahrheit
Die Philosophie entwickelt Kriterien für wohlbegründete Überzeugungen und Kriterien für richtige Entscheidungen. Als theoretische Philosophie beschäftigt sie sich mit der Rationalität des Erkennens, als praktische Philosophie mit der Richtigkeit des Handelns. Die Physik ist eine Nachbardisziplin der theoretischen Philosophie, die Politikwissenschaft oder die Jurisprudenz der praktischen Philosophie. Die Philosophie ist aber nicht die Disziplin der letzten Begründung, sie steht nicht über, sondern neben den anderen Wissenschaften. Auch wenn sie als Integrations- und Orientierungswissenschaft, wie im Kapitel » Was ist Philosophie?« beschrieben, eine besondere Rolle spielt. Wir benötigen nicht die Wissenschaften oder die Philosophie, um zu klären, was wir wissen. Edmund Husserl, der Begründer der philosophischen Richtung der Phänomenologie, hat 1936 den Begriff der » Lebenswelt« eingeführt. Er verwendet diesen Begriff nicht ganz einheitlich, und die Interpretationen gehen weit auseinander. Im Kern aber steht die Überzeugung, dass die Wissenschaften eines vor-theoretischen Fundamentes bedürften, das unsere Lebenswelt, die vortheoretischen Überzeugungen, die unsere Praxis und unsere Verständigung leiten, von den wissenschaftlichen Theorien nicht ersetzt werden, sondern diese voraussetzen. Sehr viel später und aus einer ganz anderen philosophischen Perspektive betont Ludwig Wittgenstein die unhintergehbare Rolle der Lebensform, der alltäglichen Praxis, der Interaktionen und der Verständigung. Während Husserl offenbar noch darauf setzte, dass es ein sicheres Fundament einer Wissenschaft außerhalb der Wissenschaft geben könne und die Phänomenologie durch Einklammerung sich diesem Ideal der Separierung solcher Gewissheiten anzunähern versuchte, gibt Wittgenstein diese Hoffnung auf. Es gibt nur das mehr oder weniger Gewisse, was wir nicht bezweifeln können, weil es am Grund aller unserer Praxis liegt, weil es das Flussbett formt, innerhalb dessen wir unsere Überzeugungen bilden und unsere Meinungen ändern. Das Flussbett kann sich aber verschieben. Es gibt keine klare Separierung zwischen dem Gewissen und dem Ungewissen: » Der Übergang vom Fluss zum Flussbett ist fließend.«
Kommunikation und Wahrheit
Gegen Ende des 20. Jahrhunderts hat dann der Sprachphilosoph Donald Davidson einen wichtigen Aspekt hinzugefügt. Er hat gute Argumente entwickelt für die These, dass unsere gesamte Verständigungspraxis nur möglich ist, wenn das Gros unserer Überzeugungen wahr ist. Wir könnten eine Sprache gar nicht lernen, wenn die Mitteilungen, die Kinder in den ersten Lebensjahren über die Welt, in der sie leben, von ihren Eltern, von anderen Erwachsenen, aber auch von älteren Geschwistern erhalten, nicht in der Regel wahr wären. Sie lernen eine Sprache, indem sie einen Zusammenhang zwischen Welt und sprachlichem Ausdruck herstellen. Wenn es keine verlässliche Verbindung zwischen beidem gäbe, könnten wir unsere erste Sprache, unsere Muttersprache, nicht erlernen. Nicht nur Wahrhaftigkeit und Vertrauen sind Voraussetzung einer Sprachgemeinschaft, sondern auch Wahrheit, so kann man Davidsons sprachphilosophische Analyse zusammenfassen. Man kann dieses Ergebnis auch folgendermaßen fassen: Wir können nicht alle unsere Überzeugungen zugleich anzweifeln, eine radikale Skepsis ist unmöglich. Diese Unmöglichkeit ist nicht lediglich eine psychologische, sondern eine logische. Es scheint zunächst, dass eine Sprachgemeinschaft lediglich Wahrhaftigkeit und Vertrauen, in hinreichendem Umfang, voraussetzen muss. Kommunikation findet nur statt, wenn das, was die Person äußert, auch vom Adressaten für wahr gehalten wird. Vertrauen ist aber nur gerechtfertigt, wenn der Adressat davon ausgehen kann, dass der Sprecher wahrhaftig ist. Wir müssen aber mehr fordern als lediglich Wahrhaftigkeit und Vertrauen, wir müssen Verlässlichkeit
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