Der Sokrates-Club
voll bewusst. Er reagiert zwar auf Umweltreize, verhält sich oft behutsam, hat die Augen geöffnet und nimmt offensichtlich auch mit diesen Augen etwas wahr, andererseits hat er keine kohärente Sicht dieser Umwelt, was das seltsame Verhalten von Schlafwandlern erklärbar macht. Bewusstsein scheint mir – empirisch, nicht begrifflich – Empfindungsfähigkeit vorauszusetzen.
Die nächsthöhere Ebene ist die des Selbstbewusstseins. Ein Tier kann über Bewusstsein verfügen, ohne über Selbstbewusstsein zu verfügen. Bewusstsein ist eine reflexive Einstellung zur Welt, Selbstbewusstsein eine solche zu sich selbst. Ein Tier, das den berühmten Spiegeltest besteht, das heißt, das etwa einen lange zuvor angebrachten und längst vergessenen Kreidefleck auf der Stirn entfernt, wenn es sein Spiegelbild erkennt, ein Verhalten, das Primaten nach kurzer Gewöhnungszeit regelmäßig zeigen, hat zweifellos Selbstbewusstsein. Es ist sich bewusst, dass dasjenige, was sich ihm im Spiegel darbietet, es selbst ist. Nicht alle bewussten Lebewesen verfügen über Selbstbewusstsein. Der Spiegeltest ist für Selbstbewusstsein sicherlich eine hinreichende, aber vermutlich keine notwendige Bedingung, da er ein hohes Maß an kognitiven Fähigkeiten voraussetzt, die nicht bei jedem selbstbewussten Wesen gegeben sein müssen.
So wie hier Selbstbewusstsein charakterisiert wurde, setzt es nicht voraus, dass ein selbstbewusstes Individuum über ein besonderes Maß an praktischer Vernunft verfügt. Dennoch vermag Selbstbewusstsein Voraussetzung für höhere Formen praktischer Rationalität zu sein. Der Personenbegriff, wie er gelegentlich in der Bioethik verwendet wird, sollte von dem des Selbstbewusstseins abgekoppelt werden. Den Personenstatus kann man solchen Lebewesen zuschreiben, die nicht nur empfindungsfähig, bewusst und selbstbewusst sind, sondern darüber hinaus ihr Leben organisieren, längerfristige Pläne verfolgen, Präferenzen und Intentionen entwickeln, die nicht auf die unmittelbare Handlungsumgebung gerichtet sind, und die insofern im genuinen Sinne Subjekt ihres Lebens sind.
»Mücken denken nicht, Hunde oder Katzen aber schon. Da ist einfach ein Unterschied!«
Mentalismus
Teresa Ann Miller, die mit ihrem Vater in Los Angeles eine erfolgreiche Schauspielschule für Katzen, Hunde und andere Tierarten unterhält und von ihrem wohl bekanntesten Dressurobjekt Rex, aus der Fernsehserie » Kommissar Rex«, sagt: » Ich sah gleich, dass er die idealen Charaktereigenschaften mitbrachte: Er hat ein freundliches Wesen, ist neugierig, aufmerksam und verspielt und zeigt eine souveräne, in sich ruhende Persönlichkeit.« Diese Formulierungen machen den Eindruck einer zu weit gehenden Angleichung tierlicher und menschlicher mentaler Eigenschaften. Andererseits wählt diese Tierexpertin aufgrund von Eindrücken dieser Art ihre Tiere aus und ist nicht nur in der Auswahl, sondern auch in der Art des Umgangs mit ihnen überaus erfolgreich.
Während in der Regel keinerlei Uneinigkeit darüber besteht, unter welchen Bedingungen Menschen Schmerzen empfinden, leiden, Angst haben etc., und keinerlei Uneinigkeit darüber besteht, dass Mord an Menschen moralisch unzulässig ist, so sind die entsprechenden Analoga bei Tieren höchst umstritten, auch unter denjenigen, die sich zu einem sogenannten Mentalismus bekennen und das ethische Gleichbehandlungspostulat auch bezüglich Tieren respektieren. Unter Mentalismus versteht man die Auffassung, dass Tiere nur unter Verwendung mentaler Prädikate vollständig beschreibbar sind bzw. dass tierliches Verhalten Ausdruck auch mentaler Zustände ist. Dies zeigt ein Durchgang durch die unterschiedlichen ethischen Ansätze im Hinblick auf den menschlichen Umgang mit Tieren.
Das Gegenmodell zu diesem Umgang wäre eine Abrichtung von Tieren, die auf einem Reiz-Reaktions-Schema basiert. Dieses Konzept behandelt die lernenden Wesen als » black box«. Aufgrund eines bestimmten Inputs, eines Reizes, ergibt sich ein bestimmter Output, eine Reaktion. Dieses behavioristische Lernmodell ist jedoch unzureichend. Sowohl bei Kleinkindern als auch bei höher entwickelten Säugetieren ist die außerordentliche Fähigkeit, höchst komplexe Lernprozesse aufgrund bestimmter wiederholter Interaktionen zu lernen, schwer zu erklären, wenn man nicht annimmt, dass sowohl Kleinkinder als auch höhere Säugetiere nicht nur auf Belohnung und Bestrafung im Sinne von Lust und Schmerz reagieren, sondern auch zustimmendes und
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