Der Sokrates-Club
ein unbegründeter Anthropomorphismus zurückgewiesen. Wissenschaftliche Seriosität verlange eine streng behavioristische Betrachtung: Tiere zeigen bestimmte Verhaltensweisen, und diese könne man wissenschaftlich analysieren. Alles, was darüber hinausgehe, sei unseriös, sei wissenschaftlich nicht begründet, beruhe auf dem Irrtum, Tiere seien wie wir, sie hätten ähnliche Gefühle wie Menschen.
Unterdessen hat sich das Blatt gewendet. In der Ethologie, also der Verhaltensforschung, werden unterdessen Fragen wie die folgenden intensiv diskutiert und experimentell untersucht: Haben bestimmte Tiere Selbstbewusstsein? Schreiben sich Tiere wechselseitig Gefühle zu? Seit einem berühmt gewordenen Aufsatz mit dem Titel Does the Shimpanzee have a theory of mind? – wird in diesem Zusammenhang– irreführend– von einer » Theorie des Geistes« gesprochen, über die einige Tiere verfügten. Gemeint ist lediglich das durch bestimmte Experimente bestätigte Phänomen, dass manche Tiere offenbar die Gefühle und Meinungen anderer Tiere in ihrem Verhalten berücksichtigen. Dies zeigt der kleine Schimpanse, der an eine Banane herankommen will, aber weiß, dass er in Anwesenheit eines stärkeren Schimpansen keine Chance haben wird, diese dann auch in Ruhe zu verzehren. Er verlässt den Raum und kehrt erst dann eilig zurück, wenn auch der größere Schimpanse den Raum verlassen hat (ihm war die Banane nicht aufgefallen), der also eine Art Täuschungshandlung vollzieht. Damit scheint belegt, dass er die Gefühle und Meinungen des anderen Schimpansen richtig einschätzt, dass er dazu jedenfalls eine Meinung hat. Der kleine Schimpanse vermutet, dass der große ebenfalls an die Banane will, dass er ihm keine Chance ließe, die Banane an sich zu nehmen, dass er aber offenbar die Banane noch nicht entdeckt hat, dass er ihm möglicherweise folgen würde, wenn er den Raum verlässt usw. Wenn diese Interpretation stimmt, dann haben Menschen und manche Tierarten, wie etwa Schimpansen, etwas gemeinsam, dass sie sich nämlich wechselseitig Gefühle und Überzeugungen zuschreiben und dementsprechend handeln.
Die Zeit des reinen Behaviorismus in der Ethologie ist vorüber, untersucht wird, welche Tiere über Selbstbewusstsein verfügen, welche über Metakognition verfügen, das heißt wissen, wie viel sie wissen, oder jedenfalls Annahmen darüber haben. Die Tierschutzbewegung, die im 19. Jahrhundert begann, hat unterdessen eine wissenschaftliche Stütze, nicht nur in der Biologie, sondern auch in der Philosophie. Es gibt eine umfangreiche philosophische Literatur zu Fragen der Tierethik. Unterschiedliche Denkschulen stehen sich dabei gegenüber. Utilitaristen, die schon im 18. Jahrhundert die These vertraten, dass es für die moralische Bewertung irrelevant sei, ob ein Wesen denken könne, ausschlaggebend sei, ob es leiden könne. Ein zeitgenössischer Tierethiker wie Peter Singer bekämpft den Speziesismus und will erreichen, dass auf die Empfindungen von Tieren in der gleichen Weise Rücksicht genommen wird wie auf die von Menschen. Andere vertreten die Auffassung, dass Tieren Rechte zukommen, auf die wir Rücksicht nehmen müssen. Die Tierschutzbewegung hat in der Philosophie einen starken Verbündeten.
Allein in der Bundesrepublik Deutschland werden jährlich ca. dreihundertdreißig Millionen Tiere, vor allem Hühner, Schweine und Rinder, geschlachtet. Die meisten dieser Tiere leben bis zu ihrer Schlachtung unter den Bedingungen der industriellen Massentierhaltung. In der Forschung werden in Deutschland jährlich ca. zwei Millionen Tiere für Versuche genutzt, ca. achtundsiebzig Prozent davon sind Ratten und Mäuse. Die Schädlingsbekämpfung, insbesondere in der Landwirtschaft, fordert eine unbekannte Zahl meist qualvoll verendender Tiere. Die Zerstörung der natürlichen Ökosysteme lässt weltweit jährlich viele Tierarten aussterben und verdrängt eine große Anzahl von Wildtieren aus ihren angestammten Lebensräumen, was in vielen Fällen mit Siechtum, Unfruchtbarkeit und Tod bezahlt wird. Allein in der Bundesrepublik Deutschland leben mehr als neunzig Millionen Haustiere, darunter etwa 5,5 Millionen Katzen und 4,8 Millionen Hunde, von denen ein Teil nicht tiergerecht gehalten wird.
»… das würde einem doch total leidtun, wenn man sehen würde, wie der alte Hund leidet.«
Sentientismus
Wer Tieren einen moralischen Status zuschreibt, hält sie in der Regel auch für empfindungsfähig. Wenn Tiere einen moralischen Status
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