Der Sokrates-Club
stoizistischer Ethik tradiert und mit der These der Gott-Ebenbildlichkeit des Menschen die gleiche Würde der Stoa religiös transzendiert, andererseits jedoch die Idee gleicher menschlicher Rechte, der Gleichheit von Mann und Frau, der Demokratie durch den katholischen und orthodoxen Klerus bis ins 20. Jahrhundert hinein bekämpft), wirken die anthropologischen Grundpostulate des Humanismus fort: Menschliches Urteilen und Handeln sollte von Gründen geleitet sein. Der Austausch von Gründen ist der Androhung von Gewalt vorzuziehen. Es gibt einen Unterschied zwischen Überreden und Überzeugen. Die Rede, die auf Überzeugung gerichtet ist, bringt gute Gründe vor, von denen der Redner selbst überzeugt ist und hofft, dass der Gesprächspartner sie sich zu eigen macht.
Anti-Humanistische Traditionen in der Antike
Auch wenn die anthropologischen und ethischen Gehalte humanistischen Denkens heute nicht nur in die Verfassungsordnungen westlicher Demokratien, sondern auch in allgemein akzeptierte völkerrechtliche Konventionen eingegangen sind, so hatte es der Humanismus von der Antike bis zur Gegenwart schwer, sich gegen anti-humanistisches Denken und Praxis zu behaupten. Platon stilisiert die Auseinandersetzung zwischen Sokratik und Sophistik zu einer Auseinandersetzung um das erste humanistische Postulat, nämlich die Rolle von Gründen und die Rolle von Wahrheit.
Der Sophistik und Rhetorik geht es nach Platon nicht um Wahrheit, sondern um bloßen Erfolg, so unterschiedlich die Kriterien dieses Erfolgs im Spektrum sophistischer Positionen sind. Es geht der Sophistik nicht um die besseren Gründe, sondern um die Durchsetzung eigener Interessen, bestenfalls um Überredung. Bildung ist nicht Selbstzweck, sondern wird zu einer Erwerbstätigkeit unter anderen. Das in dem jeweiligen einzelnen menschlichen Individuum Angelegte soll nicht zur vollen Entfaltung gebracht werden, wie es platonischer und aristotelischer Anthropologie entspricht, sondern instrumentalisiert werden für andere Zwecke, zum Beispiel der Macht oder des Reichtums.
Das stoizistische Postulat menschlicher Würde und Vernunftteilhabe kollidiert mit den imperialen Interessen im Hellenismus und später des römischen Imperiums. In der Endphase des römischen Reiches ist stoizistische Anthropologie und Ethik zur Weltanschauung römischer Patrizier geworden, kann aber den politischen wie moralischen Verfall des Reiches nicht mehr aufhalten.
Anti-Humanistische Strömungen in der Neuzeit
Die klassische Physik Isaak Newtons scheint das uralte Programm einer systematischen und streng deterministischen, vorbestimmten Naturwissenschaft, das schon die Atomisten der Vorsokratik vertreten hatten, das Descartes und andere Vertreter der rationalistischen Strömung der sciencia nova postulierten, endlich eingelöst zu haben. Das Gesamte des physikalischen Geschehens ließ sich nun auf ein einziges Grundprinzip zurückführen. Die verschiedenen beobachtbaren Bewegungen in der Natur schienen sich als ein System von Massepunkten, zwischen denen Kräfte wirkten, ohne Rest beschreiben zu lassen.
Der Dämon des Mathematikers und Physikers Pierre-Simon Laplace, der jedes Ereignis vorhersagen kann, da er den Zustand der Welt an einem beliebigen Zeitpunkt aus dem Zustand der Welt zu einem früheren Zeitpunkt, gegeben die physikalischen Gesetze, vorhersagen kann, hatte ein sicheres Fundament in einer erfolgreichen empirischen Naturwissenschaft, der klassischen Physik, gefunden. Diese Wissenschaft entwickelte sich stürmisch fort, und entgegen den anthropologischen und ethischen Überzeugungen ihrer führenden Vertreter, darunter auch Newton selbst, schien dies im 20. Jahrhundert flankiert von der Darwin’schen Biologie zwangsläufig zu einer in sich geschlossenen materialistischen und deterministischen Weltanschauung zu führen.
Humanistische Postulate menschlicher Selbstbestimmung, Freiheit und Verantwortung, gar gleicher menschlicher Würde, erscheinen zunehmend als Fremdkörper, der sich in eine wissenschaftliche Weltanschauung nicht integrieren lässt. Biologistische, rassistische und nationalistische Ideologien verdrängen mehr und mehr die normativen Prägungen durch Humanismus und Aufklärung. In Gestalt des Marxismus entsteht eine ökonomistische Variante des Materialismus mit weitreichender politischer Wirkung.
Faschismus und Nationalsozialismus wenden sich offensiv gegen das humanistische Menschenbild, gegen die These, dass allen Menschen eine spezifische Würde
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