Der Sokrates-Club
zukomme, dass alle Menschen durch Rechte und Freiheiten zur Selbstbestimmung befähigt werden sollten, dass es eine ursprüngliche Gleichheit im Sinne gleicher Fähigkeit zu selbstbestimmtem Leben gibt, das die Zugehörigkeit zu Rassen oder Nationen politisch irrelevant macht.
Die grausamen Erfahrungen mit anti-humanistisch gesinnter Politik in ihren beiden Hauptvarianten des Nationalsozialismus und des Stalinismus gaben humanistischer Anthropologie und Ethik nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine historische Chance, das Ethos, das Recht, die Politik in demokratischen Gesellschaften zu prägen. Das deutsche Grundgesetz mit seiner starken Betonung des humanistischen Ethos ist dafür ein prägnantes Beispiel.
Die Charta der Vereinten Nationen, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, der– streckenweise mühsame– globale Konsens über die beiden Menschenrechtskonventionen der 60er Jahre, die Fortschreibung und Konkretisierung des Völkerrechts bis in die Gegenwart zeigen, dass die Kraft humanistischer Normativität ungebrochen ist.
Heutige Bedrohungen des Humanismus
Gegenwärtig sehe ich vor allem drei Bedrohungen humanistischen Denkens und durch humanistisches Ethos geprägter moralischer und politischer Praxis.
1. Die zunehmende Ökonomisierung aller Lebensbereiche, die sich im Kleinen darin äußert, dass zwischenmenschliche Beziehungen ökonomischen Zwecken unterworfen werden und zunehmend auch ein von ökonomischer Verwertung weitgehend freigestellter Bereich, nämlich die Wissenschaft, unter Verwertungsaspekten neu strukturiert wird. Im größeren Maßstab, weil die kulturellen Bedingungen humanistischer Praxis im globalen Markt, im Prozess der Globalisierung, zumindest gefährdet werden.
Kulturelle Traditionen tragen zur Identitätsbildung bei. Die rasche Nivellierung kultureller Differenzen, die Verwandlung von kulturellen Gemeinschaften in Marktteilnehmer, das Verschwinden kultureller Eigenheiten und lokaler Gemeinschaften kann zu einer Mentalität führen, die Sinnstiftung erschwert und Solidaritätsstrukturen zerstört.
Zudem sind die Rahmenbedingungen politischer Gestaltung und Verantwortung unter einem starken Veränderungsdruck, der es zumindest möglich erscheinen lässt, dass die bürgerschaftliche Erfahrung gemeinsamer Selbstbestimmung, also praktizierter politischer Partizipation und Autonomie, dem Ohnmachtsgefühl individueller Teilnahme am globalen Markt weicht bzw. die Republik als sittliche Körperschaft erodiert.
Das humanistische Menschenbild ist jedenfalls mit der Reduktion menschlicher Existenz als Konsument und Produzent von Gütern auf dem globalen Markt unvereinbar.
2. Das Erstarken fundamentalistischer Strömungen, vor allem solcher, die religiös und da wiederum solcher, die muslimisch inspiriert sind, prägt kollektive Identitäten aus, die mit humanistischer Anthropologie unvereinbar sind. Die Abwertung der anderen, weil sie der falschen Konfession oder Religion angehören, ihre Instrumentalisierung bei Terrorakten und » neuen Kriegen«, der Verzicht auf Begründung, die Verhöhnung der Vernunft und die Predigt von Glaubensgewissheiten bedrohen nicht nur das humanistische Menschenbild gleicher Würde und gleichen Respekts, sondern fördert eine politische Praxis der Intoleranz und der Menschenverachtung.
3. Ein neuer, naturwissenschaftlich inspirierter Anti-Humanismus, der zunächst die Fähigkeit zu freier und verantwortlicher Entscheidung bestreitet und damit die anthropologischen und moralischen Grundlagen einer humanen Rechtsordnung.
Trotz dieser aktuellen Herausforderungen eines humanistischen Menschenbildes spricht vieles für eine optimistische Einschätzung. Die Grundorientierungen einer humanistischen Anthropologie und Ethik bilden konstitutive Elemente unserer lebensweltlichen Praxis. Es ist keine moderne Kultur denkbar, die ohne Deliberationen in der Alltagspraxis des Entscheidens und Urteilens, aber auch in den politischen, juridischen und ökonomischen Institutionen auskommt.
Traditionelle, das heißt unhinterfragte Autoritäten, überkommene Kasten- und Ständesysteme, lokale und tribale Identitäten schwächen sich ab, und damit wächst die persönliche Verantwortung für die eigene Lebensgestaltung, Freiheit und Autonomie prägen das Selbstbild, und die Vielfalt der Handlungsoptionen zwingt nicht nur zur Abwägung, sondern nötigt Respekt auf gegenüber der Vielfalt der Lebensformen und Weltanschauungen und der mit ihnen korrespondierenden
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