Der Sommer auf Usedom
Augenblick im Halse stecken. So absurd und komisch es war, dass erst sie André und jetzt er sie für einen Kunstdieb hielt, so peinlich war das Ganze auch. Außerdem musste sie ihn erst einmal von ihrer Unschuld überzeugen. Dass er keine Beweise gegen sie in der Hand haben konnte, erschien ihr nicht besonders beruhigend, denn ihr kam gleichzeitig der Verdacht, er habe nur mit ihr geflirtet, um ihr auf den Zahn zu fühlen. Und diese Vorstellung gefiel ihr ganz und gar nicht.
»Mach dir keine Sorgen, wir holen dich da ganz schnell wieder raus. Wir klären das.« Gabi, die von der Beamtin am Arm zurückgehalten wurde, klang sehr resolut. »Es kann sich ja nur um ein Missverständnis handeln.«
Jasmin sah gerade noch, wie Gabi die Polizistin abschüttelte und sich bei Käsemann Pierre unterhakte, dann wurde sie von André zum Ausgang geführt.
Sie traten ins Freie und gingen den Weg entlang, der zwischen der Strandpromenade und den Dünen verlief. Jasmin entdeckte ein Polizeifahrzeug, das ein Stück weiter geparkt war. André führte sie daran vorbei. Sie sah ihn unsicher von der Seite an. Sein Gesicht wirkte sehr ernst. Ob er sie ein wenig mochte und traurig war, sie festnehmen zu müssen? Sie hätte ihm so vieles erklären wollen, aber ihr fiel einfach nicht ein, was sie hätte sagen können. Nach wenigen Schritten bog er links in den Strandzugang ein.
»Schuhe aus!«, befahl er leise.
Jasmin verstand die Welt nicht mehr. »Was?«
»Sonst ruinierst du dir nur deine Füße.« Er duzte sie wieder, fiel ihr auf. Vorhin hatte er sie gesiezt. War das ein gutes Zeichen? Würde er sie laufen lassen? Herrje, warum auch nicht? Sie war immerhin unschuldig.
»Ich kann nicht«, sagte sie und bewegte die Arme hinter ihrem Rücken.
»Oh, natürlich, entschuldige.« Statt ihr die Handschellen abzunehmen, kniete er sich vor ihr hin, löste die Riemen ihrer Sandalen und zog behutsam ihre Füße aus den Schuhen.
»Wo wollen wir denn hin? Ich begreife überhaupt nichts mehr«, flüsterte sie verzweifelt.
»Das kann ich mir vorstellen.« Zum ersten Mal lächelte er. Noch immer hielt er ihren Arm fest, als ob er jeden Fluchtversuch von vornherein unterbinden müsste. Doch seine Stimme hatte sanft geklungen. Nahe der Wasserlinie blieb er stehen. Die Sonne würde bald untergehen, schon färbte sich der Himmel zart rosa. Eine leichte Böe strich über ihre Haut und brachte den Geruch von Salz und Algen mit. Sie stand im weichen Sand, der noch ganz warm von diesem herrlichen Sommertag war, hörte das Glucksen der kleinen Wellen, die an Land krochen, und dachte, dass es ein wunderbar romantischer Abend hätte sein können. Jasmin sah ihn an und begegnete seinem Blick. Eine Strähne, die der Wind ihr ins Gesicht geweht hatte, klebte an ihrem Mund. André legte einen Finger an ihre Lippen und strichihr Haar sanft beiseite. Ein Schauer lief durch ihren Körper, den sie in dieser Situation ganz und gar unpassend fand.
»Danke«, sagte sie leise.
»Gern geschehen.« Seine Augen leuchteten. Man konnte wirklich meinen, dies hier sei ein Rendezvous, und der junge Liebhaber würde seine Angebetete im nächsten Moment in die Arme schließen. Dummerweise war das eine Festnahme, und der Kommissar würde die Verdächtige gleich auf die Wache bringen, dachte sie.
»Ich muss mich bei dir entschuldigen und bedanken«, sagte er unvermittelt.
»Wofür?«
»Entschuldigen muss ich mich, weil ich dich eben ziemlich blamiert habe. Jeder denkt jetzt, du bist eine Kriminelle. Es war nicht geplant, dich vor so viel Publikum festzunehmen.« Das letzte Wort hatte er besonders betont. Sie fragte sich, worauf er hinauswollte. »Eigentlich wollte ich dich unauffällig aus dem Pavillon lotsen und dir dann die Nummer mit der Verhaftung vormachen.« Jetzt grinste er über das ganze Gesicht.
»Wieso vormachen? Kannst du mir endlich erklären, was hier eigentlich los ist?« Jasmin gewann allmählich ihre Fassung zurück und wurde immer wütender.
»Gerne. Ich bin mit meiner Abteilung hinter den Kunstdieben her, die auf Usedom in den letzten Wochen erheblichen Schaden angerichtet haben. Wir hatten die Beschreibung einer Verdächtigen. Die passte ziemlich genau zu dir: extrem gut aussehend, blond, tolle Figur, ständig mit einem Skizzenbuch oder einer Staffelei unterwegs. Wir sind davon ausgegangen, dass die Bande noch weitere lohnende Orte auskundschaftet. Dabei wollte ich ihr auf die Spur kommen und bin auf deine Spur geraten.« Der Glanz seiner Augen
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