Der Sommer der silbernen Wellen: Roman (German Edition)
falsch, klangen bedeutungslos. Ohnehin spielte nichts davon mehr eine Rolle. Er war tot. Nichts und niemand würde ihn wieder lebendig machen. Schon gar nicht ich.
georgia
kapitel siebzehn
»Kommst du?«, fragt Dad.
»In einer Minute. Geht schon mal vor. Ich schreibe nur noch diese Seite zu Ende.«
Dad und Mom erwarteten mich draußen vor unserem Bungalow auf Tybee Island. Eva flirtet mit irgendeinem Surfer, obwohl sie noch keine elf ist und nur aus dem Grund mit nach Savannah kommen musste, weil ich mir hier mehrere Unis anschauen soll. Doch ich glaube, ich möchte lieber nicht in meinem Heimatstaat studieren. Lieber würde ich etwas Neues kennenlernen. Vielleicht North Carolina. Die Strände dort sind so wild und unberührt – so anders als die im Norden, so dass sie mich nicht ständig an die Vergangenheit erinnern würden.
Es mag seltsam klingen, aber ich liebe den Ozean noch immer, obwohl er mir die einzige andere Liebe meines Lebens genommen hat. Doch nachdem ich diese eine verloren habe, kann ich nicht noch die andere aufgeben. Denn wenn ich das täte, würde ich mich selbst verlieren, die Mia, die Simon gekannt hat. Und dann wären wir beide verschwunden.
Zwei Tage nachdem Simon ertrunken war, flog ich mit meiner Mom nach Georgia zurück, während mein Vater mit Eva im Auto fuhr. Meine Tante Kathleen und meine Cousinen verschwanden langsam aus meinem Blickfeld, als Mom und ich zum Flughafen gebracht wurden. Ich presste meine Hand an die Scheibe. Ich wollte winken, aber ich brachte die Energie nicht auf.
Sie sahen so traurig aus, als sie zusammengedrängt in der Auffahrt standen. Blass und erschöpft. So anders, als sie bei meiner Ankunft ausgesehen hatten. Vor so langer Zeit, dachte ich, als sie in der Ferne immer kleiner wurden und ich mich daran erinnerte, wie sie mir erschienen waren, als wir in Wind Song eingetroffen waren. Schimmernd. Strahlend. Perfekt.
Im Flugzeug lag meine Hand kalt in der von Mom. Sie ließ mich kaum einen Moment aus den Augen. Ich sah die Furcht in ihrem Blick und hätte ihr gerne versichert, dass ich es überstehen würde. Doch ich war taub, gefühllos. Ich konnte nicht sprechen. Mir fehlten die Worte.
Ich konnte mein vorletztes Schuljahr nicht mit den anderen zusammen beginnen. Es dauerte zwei Monate, bis ich das Haus wieder verlassen konnte, abgesehen von kurzen Fahrten zu einer Therapeutin. Wesentlich länger dauerte es, bis ich mich wieder annähernd normal fühlte. Ich hatte Unterstützung, meine Eltern an meiner Seite, die mich monatelang intensiv beobachteten, bis ich befürchtete, schon allein dadurch verrückt zu werden.
Alle gingen äußert taktvoll mit mir um. Das war vielleicht das Merkwürdigste. Sogar Eva benahm sich folgsam und brav, wenn sie in meiner Nähe war, als wäre sie eine künstliche Eva, die man gegen die echte ausgetauscht hatte. Es war so still im Haus. Daran erinnere ich mich am deutlichsten. Nur wenige Geräusche drangen aus den leeren Zimmern, in denen ich tagsüber saß, wenn alle anderen draußen, mitten im Leben waren. Zitronenduft von Möbelpolitur und das laute Ticken der Wohnzimmeruhr. Das Summen des Garagentors.
Manchmal legte ich mich auf die Couch und dachte daran, wie mich Simon am Strand in den Armen gehalten hatte, kurz bevor wir während des Gewitters ins Wasser gegangen waren. Sei einfach nur bei mir … Ich bin glücklich. Ich bin bei dir. Er war glücklich gewesen. Und furchtlos. Seinem Dad, einfach allem gegenüber. Die Erinnerung daran ist bittersüß. Doch bis jetzt hat die Bitterkeit nicht die Süße verdrängt, obwohl es eine Zeit gab, in der ich mir nicht so sicher war.
In den ersten Monaten, in denen ich am schwächsten und wütendsten war, versuchte ich, an Simons Mut zu denken. Er hatte großen Mut. Vielleicht zu viel. Er brachte mir bei, einen Schritt weiterzugehen, auch wenn ich nicht sehen konnte, was vor mir lag. Er glaubte daran, dass es wichtig sei, Risiken einzugehen, zum Kern der Dinge vorzudringen, egal, auf welche Schwierigkeiten man stieß. So war er, durch und durch. Ich möchte gerne glauben, dass er einen Teil seines Mutes bei mir zurückgelassen hat, auch wenn ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen und ihm einen Teil seines Mutes wegnehmen. Aber das geht nun mal nicht. Wenn ich mich bei einem solchen Wunsch ertappe, denke ich an das Gefühl des Regens auf meiner Haut, als ich im Wasser stand und den Sturm beobachtete.
Meine Eltern hatten viele Fragen an mich, nachdem es passiert war,
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