Der Sommer der toten Puppen
aus, als würde das Eis in Stücke krachen, aber der Gletscher hält sich.«
Das Telefon auf Savalls Tisch klingelte erneut, und Héctor wollte die Gelegenheit nutzen und endlich verschwinden.
»Warte, geh noch nicht. Ja ...? Scheiße ...! Sag ihr, ich rufegleich zurück ... Dann sag es ihr halt noch mal!« Savall legte wütend auf.
»Schwierigkeiten?«, fragte Héctor.
»Was wäre das Leben ohne.« Savall blieb ein paar Sekunden still, wie immer, wenn eine Idee ihn ansprang. »Hör zu«, sagte er langsam, »ich glaube, du könntest etwas für mich tun. Inoffiziell.«
»Soll ich jemanden verprügeln? Dafür habe ich ein Händchen.«
»Setz dich. Die Frau, die mich eben sprechen wollte, war Joana Vidal.«
»Keine Ahnung, wer das ist.«
»Klar, du warst schon weg, als es passiert ist. In der Johannisnacht.« Savall nahm ein paar Mappen vom Tisch, bis er die gesuchte fand. »Marc Castells Vidal, neunzehn Jahre alt. Er hatte zu Hause eine kleine Party gefeiert, nur ein paar Freunde und er. Irgendwann in der Nacht ist der Junge aus dem Fenster gefallen. Er war sofort tot.«
»Supermannkomplex auf Koks?«
»Im Blut waren keine Drogen. Alkohol ja, aber nicht übermäßig. Offenbar hatte er die Angewohnheit, sich ins Dachfenster zu setzen und eine Zigarette zu rauchen. Vielleicht hat er das Gleichgewicht verloren und ist gestürzt, vielleicht ist er gesprungen ... Er war ein seltsamer Junge.«
»Mit neunzehn sind alle seltsam.«
»Aber nicht alle fallen aus dem Fenster«, widersprach Savall. »Die Sache ist, dass Marc Castells der Sohn von Enric Castells war. Der Name sagt dir was, ja?«
Héctor überlegte kurz, ehe er antwortete.
»Vage ... Wirtschaft, Politik?«
»Beides. Er hatte ein Unternehmen mit mehr als hundert Angestellten. Dann hat er in Immobilien investiert und war einer der wenigen, die rechtzeitig ausgestiegen sind, bevordie Blase platzte. Und in letzter Zeit ist sein Name immer wieder als mögliche Nummer zwei bei irgendeiner Partei genannt worden. Es gibt ziemlich viel Bewegung auf den Listen für die nächsten Regionalwahlen, und es heißt, man brauche neue Gesichter. Bisher ist noch nichts bestätigt, aber es ist klar, dass ein paar rechte Parteien ihn gerne in ihren Reihen sähen. Wie auch immer, der Junge ist jedenfalls aus dem Fenster gestürzt oder gesprungen. So sieht’s aus. Mehr haben wir nicht.«
»Aber?«
»Aber seine Mutter akzeptiert es nicht. Sie ist die Exfrau von Castells ... Eine etwas undurchsichtige Geschichte. Joana hat ihren Mann und den Jungen verlassen, als der ein oder zwei Jahre alt war. Sie hat ihn erst bei der Beerdigung wiedergesehen.«
»Schöne Scheiße.«
»Wohl wahr. Ich kannte sie. Joana, meine ich. Bevor sie gegangen ist. Wir waren Freunde.«
»Sieh an. Die alte Garde aus Barcelona. Polokameraden? Ich vergesse immer wieder, wie sehr man sich hier gegenseitig unterstützt.«
Savall machte eine abfällige Handbewegung.
»Wie überall. Aber wie ich schon sagte, offiziell haben wir nichts. Ich kann niemanden auf den Fall ansetzen, und die anderen Inspektoren haben schon genug zu tun. Aber ...«
»Aber ich bin frei.«
»Genau. Wirf einfach mal einen Blick auf den Fall. Sprich mit den Eltern, mit den jungen Leuten, die auf der Party waren. Schließ die Sache für Joana endgültig ab.« Savall senkte die Augen. »Du hast doch auch einen Sohn. Sie möchte nur, dass sich jemand mit dem Tod ihres Jungen befasst. Bitte.«
Héctor wusste nicht, ob sein Chef ihn wirklich um einen Gefallen bat oder ihn lieber beschäftigen wollte, um Schlimmeres zu verhindern.
Savall gab ihm den Bericht mit einem zweifelhaften Lächeln.
»Morgen setzen wir uns mit Andreu zusammen. Sie hatte den Fall übernommen, zusammen mit der Neuen.«
»Wir haben eine neue Kollegin?«
»Ja, ich habe sie zu Andreu geschickt. Sie ist ein bisschen grün hinter den Ohren, aber in der Theorie ist sie fit. Die Beste bei allen Prüfungen, eine kometenhafte Laufbahn. Du weißt ja, wie die Jugend drängt.«
Héctor nahm die Mappe und stand auf.
»Freut mich sehr, dass du wieder bei uns bist.« Es kam der feierliche Moment. Savalls mimisches Repertoire war vielfältig. Ebenjetzt erinnerte ihn sein Gesicht an Robert Duvall. Väterlich, streng, zugewandt und ein wenig zu glatt. »Und halt mich auf dem Laufenden, wie es dir mit dem Seelenklempner ergeht.«
Sie verabschiedeten sich.
»Und denk dran«, Savall drückte seinem Untergebenen die Hand. »Das mit Castells ist inoffiziell.«
Héctor löste
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