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Der Sommer der toten Puppen

Der Sommer der toten Puppen

Titel: Der Sommer der toten Puppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Hill
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dreiundvierzig geworden war.
    »Und an das Mädchen denkt keiner mehr?«, fragte Héctor bitter. Eine ärmliche Verteidigung, aber es war die einzige, die ihm blieb.
    »Ich weiß nicht, ob es in deinen Kopf geht, Salgado.« Savall hob unwillkürlich die Stimme. »Wir hatten mit dem Ganzen nichts zu tun. Soweit wir wissen, gab es keinerlei Kontakt zwischen diesem Dr. Omar und dem Mädchen, nachdem die Wohnung mit den eingesperrten Frauen geräumt war. Ohne das Wort des Mädchens können wir nicht einmal beweisen, dass es vorher einen Kontakt gab. Sie war in der Jugendstrafanstalt. Irgendwie hat sie es angestellt, sich ... das anzutun.«
    Héctor nickte.
    »Der Sachverhalt ist mir bekannt.«
    Aber der Sachverhalt vermochte das Grauen nicht zu fassen. Das Gesicht eines Mädchens, aus dem noch im Tod die panische Angst sprach. Kira war noch keine fünfzehn gewesen, konnte kein Wort Spanisch und auch sonst keins aus einer mehr oder weniger bekannten Sprache, und dennoch hatte sie es geschafft, sich mitzuteilen. Sie war klein, sehr dünn, in ihrem glatten Puppengesicht leuchteten die Augen,Augen von einer Farbe zwischen Bernstein und Kastanie. Wie die anderen Mädchen hatte Kira, bevor sie auf der Suche nach einer besseren Zukunft ihr Land verließ, an einer Zeremonie teilgenommen. Es waren die sogenannten Juju-Riten, und nachdem sie das Wasser getrunken hatten, das man zum Waschen eines Toten benutzte, überreichten die jungen Mädchen Schamhaar oder Menstruationsblut, worauf man es vor einem Altar ausbreitete. Auf diese Weise verpflichteten sie sich, ihre Schlepper nicht anzuzeigen, die angeblichen Schulden für die Reisekosten abzubezahlen und überhaupt ohne Widerspruch zu gehorchen. Wer sich an das Versprechen nicht hielt, wurde mit einem schrecklichen Tod bestraft, dem eigenen oder dem der zurückgelassenen Verwandten. Kira hatte es am eigenen Leib erfahren; niemand hätte gedacht, dass ein so zarter Körper so viel Blut enthalten könnte.
    Héctor versuchte das Bild aus seinem Kopf zu verscheuchen, ebenjenen Anblick, weshalb er sich damals auf den Weg zu Dr. Omar gemacht hatte, um ihm sämtliche Knochen zu brechen. Der Name des Mannes war bei den Ermittlungen zur Sprache gekommen, seine Aufgabe war es angeblich gewesen, sich um die Gesundheit der Mädchen zu kümmern. Doch die Angst, die sie durchblicken ließen, als sie seinen Namen hörten, deutete darauf hin, dass die Tätigkeit des Doktors über eine rein medizinische Betreuung hinausging. Keine von ihnen traute sich, über ihn zu sprechen. Der Kerl hatte vorgebeugt und die Mädchen einzeln oder zu zweit in seine Praxis bringen lassen. Was man ihm allenfalls vorwerfen konnte, war, dass er während der Behandlung keine Fragen gestellt hatte, eine recht dürftige Anschuldigung gegenüber einem Heilkünstler, der sich in seiner schmierigen Praxis um Einwanderer ohne Papiere kümmerte.
    Doch Héctor hatte sich nicht damit zufriedengegeben, und er hatte die Jüngste gewählt, die am verschüchtertstenwar, und sie mit Hilfe eines Dolmetschers unter Druck gesetzt. Allerdings ohne Erfolg. Am nächsten Tag nahm ihre Kinderhand eine Schere und verwandelte den eigenen Körper in einen blutspeienden Brunnen. In den achtzehn Jahren, die Héctor bei der Polizei war, hatte er dergleichen nicht gesehen, und er hatte Junkies vor sich gehabt, die kein einziges heiles Stück Haut mehr besaßen, wo sie sich spritzen konnten, Menschen, die Opfer jeder Art von Gewalt geworden waren. Aber das nicht. Von Kiras verstümmeltem Körper ging etwas Perverses und Makabres aus, etwas Unwirkliches, was sich mit Worten weder beschreiben noch erklären ließ, was ins Reich der Albträume gehörte.
    »Noch etwas.« Savall fuhr fort, als herrschte über den vorhergehenden Punkt Einigkeit. »Bevor du wieder antrittst, wirst du ein paar Sitzungen bei einem unserer Psychologen absolvieren. Es ist unvermeidlich. Dein erster Termin ist morgen um elf. Also tu dein Mögliches, um vernünftig zu erscheinen. Angefangen beim Rasieren.«
    »Kann ich gehen?«
    »Einen Augenblick. Ich will keine Erklärungen gegenüber der Presse, kein Wort. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen, und du hast nichts zu sagen. Habe ich mich verständlich ausgedrückt?«
    Als er sah, dass Héctor nickte, stieß Savall einen Seufzer aus und lächelte. Salgado stand auf und wollte sich verabschieden.
    »Wie war’s eigentlich in Buenos Aires?«
    »Wie soll ich sagen ... Es ist wie mit dem Perito Moreno, ab und zu sieht es so

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