Der Sommer der toten Puppen
war gut, dachte er. Sehr gut. Er hatte nicht lange mit ihr gesprochen, denn sie war, wie er hörte, nicht allein. Im Hintergrund hatte eine männliche Stimme sie plötzlich etwas gefragt. »Ich wollte dich nicht stören, wir sprechen uns morgen«, sagte er zum Schluss. »Einverstanden. Aber das müssen wir feiern, ja? Und diesmal zahle ich.« Worauf es kurz still wurde, einer dieser scheinbar vielsagenden Momente. Doch nach ein paar Abschiedsfloskeln hatten beide aufgelegt.
Vor einer roten Ampel griff er wieder nach seinem Handy, vielleicht hatte Ruth ja eine Nachricht hinterlassen. Es war fast elf, wahrscheinlich war sie noch unterwegs. Schon einen Monat hatte er Guillermo nicht gesehen, und als er dann die Straße überquerte, sagte er sich, dass so etwas nicht noch einmal passieren durfte. Er wollte kein abwesender Vater sein, kein Vater wie Enric Castells. Verantwortung, dachte er, kann man delegieren, Gefühle nicht. Doch welch Ironie des Schicksals, denn Enric war jetzt wieder allein, verantwortlich für ein kleines Mädchen, das er nicht mal als seine Tochter betrachtete.
Als er in seine Straße einbog, packte ihn erneut die Angst,seine Wohnung betreten zu müssen. Das Haus, in dem er jahrelang gelebt hatte, war für ihn ein Ort des Todes geworden, verdorben von Omar, von seinen Mördern. Schluss jetzt, sagte er sich. Omar war tot, und die ihn getötet hatten, saßen im Gefängnis. Ein besseres Ergebnis hätte man sich nicht wünschen können. Und beseelt von diesem Gedanken, steckte er den Schlüssel in die Haustür. Kaum trat er über die Schwelle, klingelte das Handy. Es war Guillermo.
»Guille! Wie schön! Seid ihr schon zurück?«
»Nein ... Papa, sag mal ... Weißt du etwas von Mama?«
»Nein. Ich habe mit ihr zuletzt am ... Freitag gesprochen, glaube ich.« Eine Ewigkeit schien seither vergangen zu sein. »Sie wollte dich abholen.«
»Ja, wollte sie. Wir haben ausgemacht, dass sie gegen neun, halb zehn kommt.«
»Und sie ist noch nicht da?« Er sah nervös auf die Uhr.
»Nein. Ich habe schon angerufen, aber sie antwortet nicht. Carol weiß auch nichts.« Er stockte, und dann sprach er mit einer Stimme, die nicht nach einem Kind klang, sondern einem besorgten Erwachsenen: »Papa, seit Freitagmorgen hat Mama mit niemandem telefoniert.«
Das Handy noch in der Hand, am Fuß der Treppe, die zu seiner Wohnung führte, musste Héctor daran denken, was Martina über Dr. Omar gesagt hatte, über die Rituale, die er vorbereitete, die DVD, die Ruth erhalten hatte. »Vergiss es, er ist tot, das ist doch jetzt egal ...«, hatte die Unterinspektorin gesagt.
Kalter Schweiß kroch ihm auf die Stirn.
HEUTE
Schon seit sechs Monaten ist Ruth verschwunden. Niemand hat etwas von ihr gehört seit jenem Freitag, als sie beschloss, in das Apartment ihrer Eltern zu fahren. Wir sind nicht einmal sicher, dass sie dort angekommen ist, denn ihr Auto wurde in Barcelona gefunden, in der Nähe ihres Hauses. Wir haben ihre Wohnung durchsucht, ihr Foto veröffentlicht, Plakate geklebt. Ich selber habe diesen lausigen Anwalt verhört, der Omar getötet hat, und bin zu dem Schluss gekommen, dass er außer dem bereits Gesagten nichts weiß. Der verdammte Doktor hatte mir nur mit einem Grinsen mitgeteilt, dass mich die schlimmste aller Strafen erwarte. Der Anwalt dachte, es sei nur so ein Spruch gewesen. Auch ich hätte es nicht ernst genommen. Aber jetzt weiß ich, dass es stimmt. Es gibt nichts Schlimmeres, als mit der Ungewissheit zu leben, in einer Welt der Schatten und der Zweifel. Wie ein Gespenst ziehe ich durch die Stadt, schaue in die Gesichter, glaube Ruth an den unwahrscheinlichsten Orten zu erkennen. Ich weiß, dass ich sie eines Tages finden werde, lebendig oder tot. Ich muss meinem Sohn erklären, was mit seiner Mutter passiert ist. Das bin ich ihm schuldig. Wenn ich bei Verstand bleibe, dann seinetwegen. Dank ihm und meinen Freunden. Auch sie geben nicht auf. Sie wissen, dass ich die Wahrheit herausfinden muss und keine Ruhe gebe, bis ich es geschafft habe.
Danksagung
Wenn es ans Danksagen geht, merkt man, wie viele Menschen einem auf die eine oder andere Weise geholfen haben, so weit zu kommen. Es sind so viele Namen, dass ich sie unmöglich alle erwähnen kann, aber ich denke, ich sollte zuerst an all die Verwandten und Freunde erinnern, die mich in den Monaten, die ich an dem Buch geschrieben habe, ertragen und ermuntert haben (ja, Montse, ich meine ganz besonders dich) und die mich, wenn die Verzweiflung am
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