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Der Sommer der Toten

Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael T. Hinkemeyer
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übliche.« Katie versuchte sich zu erinnern. »Nicht viel.«
    »Möchte wissen, ob zwischen April und Juni etwas passierte. Deine Mama war zwar immer zurückhaltend, aber sie hatte schließlich ihren gesunden Menschenverstand, und nicht zu knapp.«
    »Und was ist nachher passiert? Nachdem sie sagte: ›Es wird nicht gehen.‹«
    »Nichts. Sie ging wieder fort. Einfach fort. Als hätte sie nichts gesagt, als wäre sie nie da gewesen.«
    »Wahrscheinlich war sie gar nicht drüben«, grollte Ben Jasper mit einem zornfunkelnden Blick auf Aggie. Er war in der Tür stehengeblieben.
    Diese Szene war das erste, das Katie direkt beunruhigte. Es war mehr als nur eine Andeutung, ein Gefühl, daß etwas verkehrt war. Sie wußte, daß ihr Vater Aggie nicht ausstehen konnte, aber warum war er leise ins Haus geschlichen und hatte gelauscht oder zumindest nicht ganz zufällig ihr Gespräch mitangehört? Die erschrockene Aggie sah Ben zunächst gar nicht an. Sie sah aus dem Fenster hinüber zum Schuppen, wo noch immer die Laterne brannte. Auch das war ungewöhnlich. Ben war ein Farmer, ein sparsamer Landmensch. Er hätte eigentlich die Laterne auslöschen und das Öl sparen müssen. Es sei denn, er wollte vor ihnen den Anschein erwecken, daß er noch immer draußen an der Arbeit wäre. Aber warum nur? Und was hatte er da draußen im Geräteschuppen zu tun?
    Jetzt erst sah Aggie Ben an. »Ich sage die Wahrheit. Ich erfinde keine Geschichten.«
    »Haha«, sagte Ben ohne Humor. »Das war eben eine Geschichte. Außerdem ist es Zeit, daß du gehst.«
    Aggie sah zu ihm auf, sah Katie an, dann Katrin, dann wieder Ben. Sie stand auf.
    »Morgen komme ich rechtzeitig und helfe dir beim Frühstück«, sagte sie zu Katie.
    »Es eilt nicht«, sagte Ben.
    Gleich darauf hörten sie den Motor ihrer Klapperkiste wie einen Schneebesen in einem leeren Kessel. Aggie fuhr los und rumpelte über die Brücke mit den losen Planken.
    »Ich muß die Brücke in den nächsten Tagen reparieren«, versprach Papa.
    Dann entschwand das Geräusch von Aggies Wagen und vermischte sich mit anderen Geräuschen der warmen Juninacht. Eine unmeßbare Zeitspanne lang hörte Katie nur die Grillen, die heiseren Frösche und hin und wieder den letzten Fetzen eines Vogelsanges in den Weiden am Bach.

 
VI
     
     
    Katie ging in die dunkle Küche und wollte das Licht anknipsen. Es blieb dunkel.
    »Papa …«, rief sie.
    »Schon gut. Ich habe die Sicherungen rausgedreht.«
    »Ja, ist es denn so teuer …?« Nun ja, vielleicht war die finanzielle Lage ihrer Eltern so ernst. Dieser Gedanke war ihr nie zuvor gekommen. Gewiß, Papa hatte Land verkaufen müssen, aber er hatte schließlich gutes Geld dafür bekommen.
    »Das ist es nicht. Ich möchte es so wie früher haben – hin und wieder.«
    Ben brachte eine Öllampe von der Veranda herein.
    »Das bringt die Erinnerungen wieder.« An seiner Stiefelsohle strich er ein Streichholz an. Es flammte auf, und er hielt es an den Docht. Sanftes, flackerndes Licht erfüllte nun die ländliche Küche und warf Schatten an die Wände.
    »Siehst du?«
    »Es ist wie …« Katie ließ den Satz unvollständig.
    »Apfelschnaps?« fragte Papa. Er bückte sich und holte aus dem Schrank unter der Spüle einen großen Zinnkrug mit einem Maiskolbenstöpsel hervor. Sein Hobby und Vergnügen. Alljährlich brannte er ein gewisses Quantum aus dem Obstgarten hinterm Haus – ein wenig mehr als die gesetzlich erlaubte Menge – und führte sich allabendlich ein Gläschen zu Gemüte. Mama hatte dabei immer mitgehalten. Aber noch nie hatte er Katie davon angeboten.
    »Du bist jetzt erwachsen und verheiratet«, sagte er. Das klang ganz natürlich, ohne feindseligen Unterton gegen David. Sie spürte, daß er ihre Gesellschaft suchte. »Außerdem wirkt das Zeug entspannend. Man fühlt sich wie ein neuer Mensch.«
    Sie setzten sich. Auf dem Tisch Lampe und Krug. Papa schenkte sich ein ganzes Glas voll, für Katie einen Finger breit.
    »Langsam trinken. Zuerst brennt das Zeug, läuft aber glatt runter.«
    Vorsichtig nippte Katie daran. Er hatte recht. Die helle Flüssigkeit verbrannte ihr Mund und Hals, lief aber glatt die Kehle hinunter. Sie versuchte es noch einmal. Diesmal ging es schon besser. Außerdem schmeckte es gut, und sie spürte ein warmes Glühen von ihrem Magen aufsteigen.
    Sie sah auf und bemerkte, daß ihr Vater sie anstarrte. Unbewegt, ein unverhüllter Blick mit einer Bedeutung, die sie wohl kannte, gekannt hatte, die sie aber im Moment nicht

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