Der Sommer der Vergessenen: Band 1 von 2 (German Edition)
wenn auf seine Kosten gelacht wurde.
„ Lacht ihr nur“, flüsterte er. „Ich bin drin.“ Er schritt durch die stille Häuserschlucht. An den Häuserwänden hingen Fackeln. Das alles erschien ihm überraschend vertraut und er dachte an Socke. Bedrückt tapste er weiter, fröstelnd und mit schlabbernden Ärmeln. Zu beiden Seiten zweigten Straßen ab. Driftwood schielte um die Ecke, aber nichts kam ihm bekannt vor. Vor ihm lag eine kleine Steinbrücke, die bogenförmig über den Fluss führte. Er schaute zurück. Niemand verfolgte ihn.
„ Wie auf einem Friedhof hier“, murmelte er, jedoch insgeheim beruhigt, dass die Straßen leer waren. Er betrat die Brücke. Die Geländer waren so niedrig, das Driftwood einen Blick auf das Wasser werfen konnte. Die Strömung war schwach. Als er den höchsten Punkt der Brücke erreichte, sah er sie. Nicht weit vor ihm kamen zwei Gestalten die Straße entlang. Direkt auf ihn zu. Driftwood suchte nach einem Versteck, aber er hätte sich nur ins Wasser stürzen können. Das wäre alles andere als unauffällig gewesen. Außerdem stand er so erhöht, dass die beiden ihn längst gesehen hatten.
„ Ah, der Kjeir“, rief der große Dicke. Er trug eine Art albernes Bärenkostüm. Zielstrebig kam er auf Driftwood zu.
Rolo war alles andere als erfreut, Kjeir zu treffen. Er hätte ihn auch gar nicht erkannt. Für ihn sahen diese dunklen Umhänge einer aus wie der andere. Hwarf hielt direkt auf Kjeir zu, und Rolo wusste nichts zu tun, außer zu folgen. Sie trafen sich in der Mitte der Brücke.
„ Kjeir, mein Freund. Gut, dass wir uns sehen. Ich bin gerade auf dem Weg zum Tor. Ich habe heute meinen Wachhabenden verloren durch eine dumme Streitigkeit.“
Kjeir rührte sich nicht.
„ Nun, mein junger Freund, ich glaube, dass wir alle was lernen können aus dem, was heute passiert ist. Das mit deinem Bogen tut mir leid. Ich weiß doch, wie viel Arbeit du da rein gesteckt hast. Und er war dir wirklich gelungen. Aber, hey, so ein begabter junger Mann wie du. Der Nächste wird noch besser.“
Kjeir versuchte, mit gesenktem Haupt an ihnen vorbei zu gehen.
„ Nein, lass mich jetzt nicht hier stehen!“, bat Hwarf, und hielt ihn an der Schulter fest.
Rolo sah plötzlich ein helles Licht unter Kjeirs Kapuze. Obwohl er schon viel Seltsames erlebt hatte an diesem Tag, das war doch höchst ungewöhnlich. Zumal Hwarf einfach weiterredete, als wäre nichts geschehen. Rolo konnte einen Blick unter Kjeirs Kapuze erhaschen. Er erschrak.
Driftwood achtete nicht weiter darauf, dass Kotze sein freundliches Feuer entfachte. Nur für freundliche Augen sichtbar, dachte er. Der Alte redete irgendeinen beschwichtigen Unsinn. Der Junge schielte unter die Kapuze. Seine Augen weiteten sich vor Schreck. Verdammt, er kann es sehen, fuhr es Driftwood durch den Kopf.
Rolo sah nicht Kjeirs arrogantes Gesicht, was schon schlimm genug gewesen wäre. Er sah ein einäugiges Monster mit spitzen Zähnen. Es leuchtete grün. Erschrocken taumelte Rolo zurück, fand Halt am Brückengeländer.
Hwarf wandte sich ihm zu. „Was ist los, mein Junge?“
Das war der richtige Moment. Der Alte hielt endlich den Mund und drehte ihm den Rücken zu. Driftwood riss die Arme in die Höhe. „Kadusch!“ Ein starker Windstoß riss das Cape von seinem Körper.
Rolo traute seinen Augen kaum. Das Cape war einfach davon geflogen. Zum Vorschein kam eine schwarze Gestalt mit dünnen, langen Gliedmaßen. Sie reckte die Arme in die Luft. Ihr Fell sträubte sich. Kleine Blitze fuhren zischend hindurch. Auf ihrem Kopf saß ein grün leuchtendes Etwas. Hwarf strich sich das Haar aus dem Gesicht, drehte sich um. „Nachtalb“, hauchte er.
Die Augen des Nachtalbs verfärbten sich schwarz. Hwarf griff an seine Hüfte. Doch heute war er unbewaffnet.
„ Rolo, bleib zurück!“
Der Nachtalb begann, hypnotisch mit den Armen zu wedeln. „Fumidar, Fumidar“, murmelte er. Die schwarzen Augen blickten starr. „Fumidar, Fumidar.“
Rauch stieg aus dem Boden auf. Er kroch Rolo und Hwarf die Beine rauf, umfing sie wie Schlangen. Rolo konnte plötzlich weder sehen noch atmen.
„ Magus plura“, sprach Driftwood und wies mit einem Arm zum Tor. Sofort schoss der Nebel die Straße entlang. Er wandte sich ab zu gehen. Von diesen Gegnern drohte ihm keine Gefahr für den Augenblick.
Hwarf rang mit der ihn umfangenden Dunkelheit. Instinktiv wusste er die Richtung, und mit eiserner Hand ergriff er den Nachtalb. „Nein! Du bleibst
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