Der Sommer der Vergessenen: Band 1 von 2 (German Edition)
schon sehr ähnlich. Sessel, geformt aus der Erde, Tisch und Stuhl aus alten Ästen, verbarg er sich gut geschützt vor Wind und Regen. Muss sich mal in ein Menschenhaus geschlichen haben. Vielleicht mit dem Herbstlaub hineingeweht.“
„ Ganz schön schlau“, sagte Trödel.
„ Warte es ab“, entgegnete Socke. „Die anderen Herbaliten, und das soll was heißen bei diesen sturen Gesellen, sahen Tag für Tag, wie kleine gemütliche Rauchwolken aus Vertes Kamin aufstiegen. Neid kam auf unter den Höhlenlosen. Das kann ich auch murrten die Alten. Das kann ich besser die Jungen. So begann das große Scharren, das genau unter dieser Bezeichnung in die Geschichte eingehen sollte. Wenige Tage später sah die Lichtung sehr verändert aus. Es brach ein regelrechter Wettstreit aus, wer den tiefsten und prächtigsten Bau graben könne. Es kam in Mode, kleine Zäune zu errichten und das Herbstlaub heimlich über den Zaun in Nachbars Garten zu werfen.“
„ Na so was“, sagte Trödel kopfschüttelnd.
„ Ja, wie die Menschen halt. Das sah mein Freund Fidicus. Allein, mit seinem roten Schal, der ihm bis zu den Knöcheln reichte, ertrug er geduldig Wind und Wetter. Und jetzt pass auf!“
Kotze spitzte die Ohren.
„ Unsere wandelnden Blätter freuten sich über den neu erworbenen Luxus. Als der Winter kam, und das junge Dorf unter einer dichten Schneedecke lag, ging niemand mehr hinaus. Blieben unter der Erde. Keine Wintersonne, kein Regen, kein Kuss der Gezeiten auf die grünen Bäuche. Nur Fidicus harrte aus. Bis zu jenem Morgen.“ Socke legte eine dramaturgische Pause ein, und Trödel wippte aufgeregt auf der Bank hin und her.
„ Was denn? Sag schon!“
„ Am zwölften Tag des zwölften Monats erwachte Fidicus früh aus einem unruhigen Schlaf. Er bemerkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Es war zu still! Die Kamine rauchten nicht mehr. Ein unwohles Gefühl von Einsamkeit kroch Fidicus die Beine rauf. Entschlossen suchte er sich einen Stein, und es war ausgerechnet Vertes Höhle, die ihm am Nächsten war. Mit all seiner Kraft hieb er auf die gefrorene Schneedecke ein, die den Eingang verschloss. Schließlich gab sie nach. Fidicus rief Vertes Namen. Keine Antwort. Vorsichtig stieg er hinab. Er staunte nicht schlecht über das, was der junge Bursche sich hier geschaffen hatte. Tische, Stühle, Regale mit allerlei Plunder. Nur von Verte fehlte jede Spur. Der Kamin war kalt, das Bett zerwühlt. Fidicus grübelte über Vertes Verbleib. Seine Aufmerksamkeit wurde auf etwas gelenkt, das zwischen den Laken zu sehen war. Es sah aus wie Schmutz.“
Trödel hing an Sockes Lippen wie ein Trinker an der Flasche. „Fidicus fasste sich ein Herz. Er schüttelte das Federbett. Doch nur Bruchstücke trockenen Laubs rieselten heraus wie dunkler Schnee.“
„ Oh nein“, hauchte Trödel.
„ Doch, leider. Verte! Verwelkt. Vertrocknet. Verdorrt.“
„ Ist das traurig.“ Trödel blickte betreten zu Boden.
„ Ja, das ist es“, bekräftige Socke.
„ Oh“, machte Kotze und verschwand zwischen den Regalen.
„ Sind sie alle …?“, fragte Trödel.
„ Das ist es, was es zu klären gilt. Und es ist Eile geboten, wie du dir vorstellen kannst. Wahrscheinlich verdorrt jetzt gerade ein weiterer dieser kleinen Kerle in seiner Höhle.“ „Hör auf! Wie furchtbar“, entfuhr es Trödel. „Sag schnell, was kann ich tun? Schaufeln, Spitzhacken?“
„ Nein, nein, das haben wir alles schon. Pass auf. Es ist so, dass Driftwood die ganze Sache noch etwas verkompliziert hat.“ Socke musste Driftwood ins Spiel bringen, damit Trödel sicher keine Lust hatte, sie zu begleiten. Er senkte seine Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. „Driftwood ist sehr unbeliebt bei den Herbaliten. Das kommt daher, dass es mal zu einem hässlichen, geschäftlichen Vorfall kam.“
„ Geschäftlich?“, wunderte sich Trödel.
„ Ja, genau. Driftwood war im Wald unterwegs, um Geschäfte zu erledigen. Er wollte ein Blatt greifen. Aber er erwischte einen Herbaliten.“
„ Ach! Geschäftlich!“, raunte Trödel. „Das ist ja ungeheuerlich.“
„ Ja, leider. Aber nicht mehr zu ändern. Darum wäre es das Beste, wenn man uns nicht erkennt. Die Herbaliten sind sehr nachtragend. So kam mir der Gedanke, dass es für alle gut wäre, wenn wir verkleidet zu ihnen gingen. Vielleicht als Menschen.“
„ Klingt mir nach einem guten Plan. Du weißt, dir kann ich nichts abschlagen. Wie kann ich helfen?“
„ Wir brauchen Kostüme. Und kannst du
Weitere Kostenlose Bücher