Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sommer der Vergessenen: Band 1 von 2 (German Edition)

Der Sommer der Vergessenen: Band 1 von 2 (German Edition)

Titel: Der Sommer der Vergessenen: Band 1 von 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Grandjean
Vom Netzwerk:
er, wie etwas seinen Körper hinab krabbelte. Es kitzelte, aber er traute sich nicht, sich zu kratzen. Endlich konnte er die Augen öffnen. Da sah er die Karawane der Zecken im Unterholz verschwinden. Dick und rund und satt. Er betastete sein Gesicht. Es war eine feuchte Kraterlandschaft. Seine Hände waren voller Blut. Ihm wurde übel. Socke betrachtete die Bisswunden aus nächster Nähe. Ganz dicht kam sein Gesicht dabei an Rolos.
    Er riecht nach Frühling, dachte Rolo und die Übelkeit verschwand.
    „ Ojemine“, murmelte Socke. „Da müssen wir was machen. Ich hole meine Tasche.“
    Rolo setzte sich ins Gras. Driftwood wippte unruhig von den Fersen auf die Zehen. Irgendwas hoch in den Baumwipfeln schien seine ganze Aufmerksamkeit zu fesseln.
    Sehe ich da etwa ein schlechtes Gewissen?, fragte Rolo sich. Er starrte den schwarzen Nachtalb an, doch der wich seinem Blick aus.
    Socke platzierte seine Tasche auf dem Boden und wühlte mit ausgestreckten Armen darin herum.
    „ Wo ist denn nur …?“. Kopfüber kroch er hinein. Noch vor wenigen Stunden hätte Rolo sich ungläubig die Augen gerieben, hätte er gesehen, wie jemand in einer Tasche verschwand, die kaum größer war als ein Schuhkarton. Doch jetzt nicht mehr.
    „ Ich hab’s!“, rief Socke. Seine Stimme hallte, als käme sie aus einem tiefen Keller. Mit einem Einmachglas kaum er zurück. In dem Glas war eine grüne Paste. Rolo fragte nichts. Er vertraute Socke. Und er tat gut daran, denn schon bald fühlte sich sein geschundenes Gesicht besser an. Driftwood stand die ganze Zeit nur stumm herum.
    „ Ich geh’ mal mit Kotze Gassi“, sagte er schließlich. „Komm mit.“
    Kotze kam auf die Beine, und die beiden verschwanden im Dickicht.
    „ Es tut mir leid“, sagte Socke. Er bestrich Rolos Stirn mit Salbe. „Er meint es eigentlich nicht böse.“
    Rolo schnaubte verächtlich. Er wollte etwas erwidern, aber sein Gesicht schmerzte, beim Versuch zu sprechen.
     
    Später saßen sie um ein kleines Feuer. Rolos Gesicht war grün. Kotze betrachtete ihn interessiert. Driftwood löffelte gelangweilt seine Suppe, die Socke zubereitet hatte. Alle Zutaten, sogar das Wasser, hatte er aus seiner Tasche gefischt. Rolo war überrascht, wie gut es ihm schmeckte. Mit jedem Löffel fühlte er sich erfrischt und gestärkt.
    „ Noch Nachschlag?“, fragte Socke. Er trug eine Schürze und lief mit Topf und Suppenkelle von einem zum anderen.
    „ Unbedingt“, sagte Rolo und hielt ihm seinen Teller hin. „Wie geht es denn jetzt weiter?“
    „ Jetzt bleibt uns nichts, außer zu warten. Der Meister erscheint, wie es ihm beliebt.“
    „ Oh, das ist blöde. Mein Vater macht sich bestimmt große Sorgen.“
    „ Das kann ich mir vorstellen“, erwiderte Socke.
    Plötzlich sprang Kotze auf und wetzte zum Rand der Lichtung. Wie ein Jagdhund starrte er in den Wipfel einer alten Eibe. Driftwood stellte seine Suppe beiseite und folgte seinem Beispiel.
    „ Was ist denn da, Kotze? Etwa wieder so ein verflixter Rabe?“
    „ Ich kann beim besten Willen nichts entdecken“, sagte Socke. Alle reckten die Hälse.
    „ Da ist nix“, moserte Driftwood.
    Da begann es zu rascheln.
    „ Er kommt“, hauchte Socke.
    Und was Rolo dann sah, hatte seit Hunderten von Jahren kein menschliches Auge mehr erblickt. Der Baum schüttelte sich. Zweige und Äste streckten sich. Rolo staunte, und auch die Alben und Kotze verharrten in andächtiger Stille. Die Äste verwoben sich ineinander und bildeten einen Kranz. Knospen sprossen. Wie im Zeitraffer öffneten sie sich, blühten, und verwelkten. Daraus wuchsen rote Samen. Es waren die Augen. Sie leuchteten hell. Dünne Zweige nahmen die Form von Lippen an. Sie bewegten sich zitternd. Die Nadeln der Eibe sahen aus wie ein grüner Stoppelbart.
    „ Meister“, jubilierte Socke und verneigte sich.
    Driftwood tat es ihm gleich.
    „ Wer ist das?“, donnerte der Meister.
    Rolo zog erschrocken den Kopf zwischen die Schultern. „Meister“, übernahm Socke das Wort. „Das ist Roland Blutgut, ein junger Mensch. Wir mussten ihn mitnehmen. Er hatte den Stein in seinem Besitz.“
    „ Wieso hatte er den Stein in seinem Besitz? Und wieso hat er ein grünes Gesicht? Soll das ein Scherz sein?“
    „ Weil Driftwood ihn im Kampf mit dem Stein geschlagen hat“, antwortete Socke wahrheitsgemäß.
    Driftwood verdrehte die Augen.
    „ Was?“
    Driftwood trat vor.
    „ Nein, Meister, so war es nicht. Jedenfalls nicht ganz so. Es war alles ein großes

Weitere Kostenlose Bücher