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Der Sommer des Commisario Ricciardi

Der Sommer des Commisario Ricciardi

Titel: Der Sommer des Commisario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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sich nun zur Leiche hinunter.
    »Mh, lass mich mal sehn, in zwei Minuten kann ich dir mehr sagen. Ich habe das Leichenschauhaus schon verständigt, sie schicken einen Wagen; in dieser Hitze lässt man eine Leiche lieber nicht zu lange liegen.«
    Der mächtig schwitzende Fotograf lichtete die Szene unterdessen aus allen Blickwinkeln ab: Seine Blitze trafen die Tote, das Kissen, die Tür. Maione, der hinausgegangen war, um die Treppe zu erkunden, trat jetzt zurück ins Zimmer.
    »Guten Tag, Dottore, freut mich, Sie zu sehen«, sagte er und tippte sich an die Mütze.
    »Da haben wir ihn ja! Einen guten Tag auch Ihnen, Brigadiere. Doch wenn’s eine Freude sein soll, verabreden wir uns nächstes Mal lieber in der Trattoria.«
    Maione seufzte.
    »Schön wär’s. Also, der Hof bietet reichlich Deckung, Commissario. Da sind die vier Säulen, ein paar Einbuchtungen, die Pförtnerloge. Der Riegel ist in Ordnung, die Kette ist nicht aufgebrochen worden: Wenn jemand hereingekommen ist, dann mit dem Schlüssel. Über die Treppe geht’s zu zwei weiteren Stockwerken, die mal von dem hier abgeteilt wurden; als die das Haus gebaut haben, müssen die Decken höher gewesen sein als in der Domkirche. Gleich oben gibt’s zwei Türen, eine ist geschlossen, wahrscheinlich wohnt da oben der berüchtigte junge Herr. Die andere ist offen und dahinter sind die Kinder der Sciarras, die – was sonst? – gerade beim Mittag sitzen. Dann gibt’s noch eine schmalere Treppe, die zur Terrasse führt.«
    Ricciardi hörte ihm aufmerksam zu.
    »Hast du auch jemanden von den Schaulustigen draußen verhört? Natürlich hat mal wieder niemand etwas mitbekommen, was? Immerhin wurde mindestens ein Schuss abgegeben.«
    Maione wischte sich mit dem völlig durchnässten Taschentuch übers Gesicht.
    »Nein, Commissario, wär ja auch ein Wunder. Diesmal gibt’s allerdings eine Entschuldigung, denn gestern war das Straßenfest und die Leute haben draußen gesungen und getanzt bis drei Uhr nachts. Der Höhepunkt ist eine einstündige Tarantella, die Tänzer drehen sich dabei um ein Holzfeuer. Draußen sind noch die Reste davon zu sehen, der Platz wird gerade saubergemacht. Können Sie sich das vorstellen, bei dieser Hitze? Die Leute müssen verrückt sein.«
    Der Fotograf hüstelte.
    »Ich wäre dann fertig, Commissario. Die Abzüge lasse ich Ihnen morgen Abend oder spätestens übermorgen zukommen. Auf Wiedersehen.«
    Ricciardi grüßte per Handzeichen und hob dann das Kissen hoch. Es war quadratisch, mit einer Seitenlänge von etwa dreißig Zentimetern, wurde von einer goldfarbenen Kordel eingefasst und hatte kleine Schleifen in den Ecken. Ein Seidenstoff mit Blumenmuster, die Füllung bestand aus Daunen. Wie der Kommissar erwartet hatte, befand sich ungefähr in der Mitte der Rückseite ein großer Brandfleck, während die andere Seite eine Vertiefung in Form des Gesichts der Herzogin aufwies sowie das Austrittsloch der Kugel.
    Ricciardi näherte sich, um das Kissen genauer zu betrachten und entdeckte Spuren von Feuchtigkeit: Speichel, vielleicht auch ein wenig Blut. Es war mit Gewalt aufgedrückt worden.
    Als er es wieder auf den Boden zurücklegte, bemerkte er, dass, halb vom Kissen verdeckt, auch auf dem Teppich eine Spur zu sehen war. Er kniete sich hin, um sie aus der Nähe zu betrachten: Es schien sich um den Schmutzrand eines Schuhs zu handeln, also nicht um einen richtigen Abdruck. So abwegig es war, da es ja schon seit Ewigkeiten nicht mehr geregnet hatte, so hätte es doch ein Schlammrest von einem feuchten Schuh sein können; man sah winzige Erdkrümel. In der gegenüberliegenden Zimmerecke wiederholte das Abbild der Toten in regelmäßigen Abständen:
    »Der Ring, der Ring, du hast den Ring weggenommen.«
    Ricciardi wandte sich an Doktor Modo.
    »Bruno, entschuldige bitte, kannst du mir jetzt gleich auch etwas zur linken Hand sagen?«
    Der Doktor war aufgestanden und trocknete sich die Stirn mit dem Taschentuch. Sein Hemd, das von den Hosenträgern an die Brust gedrückt wurde, war tropfnass vor Schweiß.
    »Ich bin für dieses leidige Handwerk nicht mehr geschaffen, bin einfach zu alt. Zuerst muss ich eine Autopsie machen, ansonsten schwöre ich, dass ich kein Wort sagen werde. Schluss mit den Sofortprognosen nach der ersten flüchtigen Untersuchung. Am Ende verzapfe ich noch einen Haufen Mist, der dann gegen mich verwendet wird, und verliere meinen Ruf der Unfehlbarkeit.«
    Ricciardi schüttelte den Kopf.
    »Davor brauchst du keine Angst zu

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