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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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abrutschte, während die grün glänzenden Schmeißfliegen, dick wie Hubschrauber, um mich herum brummten. Es fühlte sich an, als würde man sich mit Weihnachtseinwickelpapier den Hintern abwischen oder mit dem Zwischenlegpapier, das im Schulbrot zwischen den Scheiben klebte und das manchmal, wenn ein paar Tage vergangen waren, einer Käsescheibe zum Verwechseln ähnlich sah, und es half nur wenig, ob es nun Klopapier oder Toilettenpapier oder weiß der Teufel wie hieß. Man hätte genauso gut ein Kartenspiel oder Rhabarberblätter aufhängen können, um sich damit abzuwischen. Vielleicht würde ich gezwungen sein, mein eigenes Papier zu benutzen, falls mein Bauch verrückt spielte. Was für ein Gedicht. Und was wäre, wenn Vater einen Abtritt zeichnete? So schön, dass man ihn unmöglich noch Plumpsklo nennen könnte. Das sollte ich ihm mal vorschlagen.
    Mutter rief nach mir.
    Ich konnte es nicht ausstehen, wenn nach mir gerufen wurde. Es sollten wirklich gute Gründe existieren, bevor man nach jemandem rief, große Gefahr oder fantastische Neuigkeiten, und wie gesagt, Überraschungen waren nicht mein Ding. Deshalb nahm ich mir die Zeit, die ich brauchte und noch eine ganze Weile dazu, mochte aber dennoch nicht eine Ewigkeit da sitzen und den Schmeißfliegen Gesellschaft leisten. Die mussten ohne mich zurechtkommen. Ich zog die Hose hoch und ging langsam zurück zum Haus. Es hatte aufgehört zu regnen. Alles war still. Die letzten Tropfen hingen in der Luft wie matte Perlen. Wie üblich saß Mutter auf der Terrasse mit der immer gleichen grünen Wolldecke um sich gewickelt. Die Zeitung war gekommen. Sie lag auf dem Tisch vor ihr, zwischen den Teetassen und der Kanne.
    »Wo bist du gewesen?«, fragte sie.
    »Auf dem Freiluftklosett. Wo sonst.«
    Mutter lachte.
    »Willst du mich veräppeln? Freiluftklosett!«
    »Warum hast du gerufen?«
    »Willst du nicht frühstücken?«
    »Deshalb musst du doch wohl nicht rufen.«
    »Iver Malt war hier.«
    Ich hörte, was sie sagte, verstand es aber nicht. Ich war kurz davor, »Was« zu sagen.
    »Iver Malt? Der war hier? Was wollte er?«
    »Er kam mit der Aftenposten. Er arbeitet im Sommer als Zeitungsbote.«
    »Kann er sie nicht einfach in die Briefkiste werfen?«
    »Du meinst den Briefkasten?«
    »Ja, dann eben den Briefkasten!«
    Das gefiel mir noch viel weniger. Im Gegenteil, es quälte mich sogar. Ich wollte meine Ruhe haben. Ich wollte nicht gestört werden. Ich war den Rest des Jahres genug gestört worden und wollte nicht auch noch den ganzen Sommer über gestört werden. Was bildete der Kerl sich eigentlich ein, einer, der einen so lächerlichen Namen wie Iver Malt hatte und den niemand grüßte? Hatte er mein Nicken trotz allem bemerkt, und glaubte er jetzt, wir wären sozusagen Kumpel und beste Freunde? Wollte er jeden Morgen mit der Zeitung kommen, abgesehen von den Sonntagen, und an denen kamen stattdessen alle Tanten, und war das nicht mehr als genug? Sollte der Teufel Iver Malt holen.
    »Das habe ich auch gesagt. Dass er sie einfach in den Briefkasten werfen könnte. Und dann könntest du sie ja holen.«
    »Gern.«
    Ich wollte mir ein Knäckebrot nehmen, aber Mutter hielt mich zurück, bevor ich überhaupt in die Nähe von Wasa gekommen war.
    »Hast du dir die Hände gewaschen?«
    »Eigentlich nicht.«
    »Meine Güte. Dann kannst du gleich Wasser holen.«
    Ich ging zum Brunnen, der zwischen den Birken lag, und zog den Deckel zur Seite. Als ich mich über den Rand beugte, konnte ich mit Müh und Not mein Gesicht mitten in der tiefen kühlen Dunkelheit erkennen, aber es entglitt mir immer wieder und kam dann in anderen Formen erneut zum Vorschein, andere Gesichter als meines, als stünde da ein Fremder auf dem Grund und hielte mich zum Narren. Ich ließ den Eimer hinunter, kippte ihn mit einem schnellen Ruck am Seil und zog ihn wieder hoch. Das fremde Gesicht kam mit. Ich wurde es nicht los. Es lag grinsend in dem klaren Wasser. Ich trug den Eimer in die Küche, das geschah der verfluchten Fratze nur recht, sollte Mutter doch mit ihm Kartoffeln kochen.
    Als ich zurück auf die Terrasse kam, hatte sie zwei Scheiben Knäckebrot geschmiert, eine mit braunem Ziegenkäse und eine mit Kaviar aus der Tube. Ich hatte keinen Hunger mehr. Sie schaute von der Zeitung auf, zuerst auf meine Hände, dann auf mich.
    »Wir müssen den Fahnenmast streichen, bevor die Tanten kommen.«
    »Ja.«
    »Die Farbe ist im Winter ziemlich abgeblättert.«
    »Ja.«
    »Du kannst ihn mit Vater

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