Der Sommerfaenger
verzeihen.
Mein Herz pochte so laut, dass ich Angst hatte, Luke im Wagen könnte es hören.
Er vertraut dir …
Ich kniff die Augen zu, als könnte ich so die Gedanken stoppen, die in meinem Kopf aufblitzten.
Und wenn du dich irrst? Wenn du ihn tatsächlich ans Messer lieferst?
Aber wie sonst sollte ich ihn beschützen? Ich wusste, zu was dieser Kristof fähig war. Es grenzte an ein Wunder, dass Merle und Mike mit dem Leben davongekommen waren. Ich dachte an den armen alten Klecks in seinem Korb auf unserer Küchenkommode und an die Panik in seinen Augen, die bei jeder unbedachten Bewegung, jedem unerwarteten Geräusch neu aufflammte.
Was würde dieser Wahnsinnige erst dem Menschen antun, den er mehr als alles andere auf der Welt hasste?
Ich blickte zum Wagen zurück.
»Verzeih mir«, flüsterte ich und wählte die Nummer des Kommissars.
29
Jette hatte ihn erreicht, als er wieder zu Hause gewesen war. Sie hatte ihm den Weg präzise beschrieben, und Bert schloss daraus, dass sie ihn oft gefahren sein musste. Ein Blockhaus mitten im Wald. Liebesnest? Rückzugsort? Oder beides?
Sie hatte ihn gebeten, allein zu kommen, und Bert hatte das akzeptiert. Er war heilfroh, dass sie sich überhaupt bei ihm gemeldet hatte, und er würde nichts tun, was ihr Vertrauen enttäuschte. Er stellte den Wagen ein paar hundert Meter unterhalb der Stelle ab, an der er das Blockhaus vermutete, nahm die kleine LED-Taschenlampe aus dem Handschuhfach und stieg aus.
Die Stille war finster und dicht. Bert tastete nach seiner Waffe, um sich zu vergewissern, dass sie sich an Ort und Stelle befand, zog das Sakko darüber, knipste die Taschenlampe an und folgte ihrem kalten Schein.
Solange er sich auf dem Weg hielt, kam er nahezu geräuschlos voran. Das änderte sich, als er den weichen Waldboden betrat. Laub raschelte und knisterte unter seinen Schuhen, kleine Zweige brachen. Immer wieder erstarrte Bert mitten in der Bewegung und lauschte, bis er sicher war, dass man ihn nicht gehört hatte.
»Wenn Sie sich von der Rückseite der Blockhütte nähern, kann Luke Sie nicht sehen«, hatte Jette ihm erklärt. Sie hatte ihm verraten, wo genau ihr Freund seinen Wagen geparkt hatte und dass er vor Erschöpfung auf dem Fahrersitz eingeschlafen war.
Bert konnte sich vorstellen, welche Überwindung und wie viel Kraft sie das gekostet haben musste. Sie war über ihren Schatten gesprungen und hatte ihn um Hilfe gebeten. Viele würden das als Verrat bezeichnen.
Und Lukas Tadikken? Wie würde er das sehen?
»Ich werde Sie bei der Hütte erwarten«, hatte Jette gesagt. »Es sei denn, Luke wacht vorher auf …«
Daran wollte Bert gar nicht erst denken. Er verließ sich ganz auf seinen Instinkt. Das hatte sich noch immer bewährt.
*
Als der Kommissar vor mir stand, wurde mir erst richtig bewusst, was ich getan hatte.
»Oh Gott«, flüsterte ich. »Er wird mich dafür hassen.«
Der Kommissar drückte kurz meine Schulter, dann sah er sich aufmerksam um.
»Ist er bewaffnet?«
Natürlich nicht , wollte ich antworten, doch dann merkte ich, dass ich die Wahrheit nicht kannte. Mir war keine Waffe aufgefallen und Luke hatte auch keine erwähnt. Also hob ich die Schultern.
Ich verriet dem Kommissar nicht, dass Luke Jiu-Jitsu praktizierte und seinem Gegner mit einem einzigen Schlag oder Tritt das Genick brechen konnte. Es wäre mir vorgekommen, als würde ich Luke auch noch an Händen und Füßen fesseln.
»Und Sie?«, fragte ich.
Der Kommissar antwortete nicht und das war Antwort genug. Er wäre ja verrückt, ohne Waffe hier aufzutauchen.
»Bitte …Tun Sie ihm nicht weh.«
Er nickte, und ich wusste, das war ein Versprechen. Ich drehte mich um und führte ihn zu Luke, der immer noch so tief schlief, dass er nicht mal mitbekam, dass der Kommissar die angelehnte Beifahrertür aufzog und sich zu ihm hinunterbeugte.
*
Luke öffnete die Augen und blickte direkt in das Gesicht des Kommissars. Er stieß die Tür auf und sprang mit einem Satz aus dem Wagen. Erst da bemerkte er Jette, die am Kühler stand, beide Hände vorm Mund, und ihn beobachtete.
Er hätte die Waffe ziehen können, die in seiner Jackentasche steckte. Er hätte versuchen können, den Kommissar mit bloßen Händen anzugreifen, denn der hielt keine Pistole auf ihn gerichtet. Er hätte …
Luke tat nichts von alledem. Sah nur Jette in die Augen.
Die Innenbeleuchtung des Wagens schälte die Gesichter aus der Dunkelheit. Als stünden wir auf einer Bühne, dachte Luke, und als spielten
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