Der Sommerfaenger
misstrauisch werden ließ.
Als der Kellner jedoch das Essen brachte, musste er seinen spontanen Eindruck revidieren. Es schmeckte ausgezeichnet und nach den ersten Bissen fühlte Bert sich schon besser.
Tessa schien ebenfalls Mühe zu haben, den Besuch bei Beckies Familie zu verarbeiten. Hunger hatte sie wohl keinen, denn sie stocherte gedankenverloren in ihrem Risotto herum.
»Tut mir leid, dass Sie mich nicht erreichen konnten«, sagte sie. »Ich war mit Freunden unterwegs und hab vergessen, dass ich das Handy ausgeschaltet hatte.«
Bert äußerte sich nicht dazu. Da es ohnehin nicht rückgängig zu machen war, hatte es keinen Sinn, lange darüber zu lamentieren. Er weihte Tessa in den Fall Beckie ein und teilte ihr mit, was bisher unternommen worden war.
Sie hörte ihm schweigend zu, schob die geschmorten Cherrytomaten von einer Seite auf die andere, zerteilte die Thymianzweige mit dem Messer und schichtete sie zu einem kleinen Scheiterhaufen.
Sämtliche Tische waren mittlerweile besetzt und der Raum war angefüllt mit dem Duft der Speisen und dem Auf und Ab der Stimmen. Ab und zu erklang ein heiteres Lachen und führte Bert eindrücklich vor Augen, wie nah Leben und Sterben beieinander lagen.
Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und bedauerte, dass es keine Möglichkeit gab, draußen zu sitzen.
»Dass Jette nicht auffindbar ist, beunruhigt mich sehr«, sagte er.
Tessa schaute ihn mit großen Augen an und nickte. Mechanisch, wie Bert fand, und geistesabwesend.
»Alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragte er besorgt.
»Wie bitte?«
»Beschäftigt Sie irgendetwas?«
»Ich … nein …«
Sie holte ihre Gedanken von ganz weit her, setzte sich gerade hin und hob entschlossen den Kopf.
»Mich hat das gerade nur ziemlich mitgenommen. Entschuldigen Sie.«
Bert konnte das nur zu gut verstehen.
»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen«, sagte er. »Es würde mich wundern, wenn es anders wäre.«
Er beugte sich wieder über sein Steak und verfluchte sich im Stillen dafür, dass es ihm so gut schmeckte.
War er tatsächlich schon so abgebrüht?
Während er darüber nachdachte, wurde ihm bewusst, dass dieses Essen nur ein kleiner Aufschub war. Sobald sie das Restaurant verlassen hatten, würde er die Suche nach Jette einleiten, gleichgültig ob das, was Röllner inzwischen herausgefunden hatte, diese Entscheidung unterstützte oder nicht.
»Ich denke, wir sollten Beckies Auto zur Fahndung ausschreiben lassen«, sagte er.
Tessa nickte.
*
Die Erleichterung war überwältigend. Endlich hatte er rückhaltlos ehrlich sein dürfen und Jette hatte es ihm leicht gemacht. Sie hatte still zugehört und ihn kein einziges Mal unterbrochen.
Es war ein Anfang, denn sie wusste nur einen Bruchteil dessen, was es über ihn zu wissen gab, doch er hatte sich von den ersten Fesseln befreit.
»Jetzt hab ich Hunger«, sagte er und packte Brot, Käse und Wasser aus.
Er würde auch über seine eigene Rolle in der Organisation reden müssen. Er hatte Gesetze gebrochen. Menschen betrogen und eingeschüchtert. Schuldnern mit Gewalt gedroht und mitgeholfen, die Existenzgrundlage der ärmsten Teufel zu vernichten.
Eine Zeitlang hatte er sich nicht mal was dabei gedacht. Es war sein Job gewesen, Verbrechen zu begehen. Er hatte das Leben, das er führte, für ein gutes Leben gehalten und die Annehmlichkeiten, die es ihm geboten hatte, genossen.
Dafür würde er bezahlen müssen.
Für seine Aussage als Kronzeuge gegen Leo und die wichtigsten Drahtzieher der Organisation hatte die Staatsanwaltschaft Luke Strafminderung zugesichert, in welchem Ausmaß, war noch nicht klar. Bis dahin hatte er nur zwei Aufgaben zu erfüllen: am Leben zu bleiben und Jette vor Kristof zu schützen.
»Und wenn du wiederuntertauchst?«, fragte Jette. »Können sie dir nicht ein zweites Mal eine neue Identität verschaffen?«
»Kristof wird weitermorden. Er hat es auf alle abgesehen, die mir auf irgendeine Weise nahestehen, auf Merle, Ilka, Mike und Mina, deine Mutter, Tilo … und vor allem auf dich.«
»Ich weiß.« Jette brach ungerührt eine Scheibe Brot entzwei und reichte ihm eine Hälfte. »Aber wenn du für ihn nicht mehr greifbar bist …«
»… wird er euch trotzdem nicht verschonen. Du kennst ihn nicht, Jette. Er ist krank vor Hass.«
»Aber wenn die Polizei die Hintergründe erfährt und deine Unschuld erst bewiesen ist, kann sie vielleicht uns alle schützen, bis der Prozess vorbei ist und Leo und seine Leute verurteilt
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