Der Sommermörder
Eingangshalle waren die Stimmen bereits lauter zu vernehmen. Hier hat sie gelebt, dachte ich, während ich mich umblickte. Das ist das Haus, das sie in das Heim ihrer Träume verwandeln wollte. Nun aber hatte diese Frau hier das Regiment übernommen. Wie es aussah, waren die Handwerker zurückgekehrt. Im Eingangsbereich standen überall Leitern und Farbkübel herum. Die Möbel waren mit Tüchern abgedeckt.
»Möchten Sie vielleicht hier warten?«
Ich ignorierte ihre Frage und folgte ihr in ein großes, offenbar frisch gestrichenes Wohnzimmer in Schiefergrau, dessen große Terrassentüren auf einen umgegrabenen Garten hinausgingen. Auf dem Kaminsims stand ein ovaler Silberrahmen mit einem Foto der drei Kinder.
Keine Jennifer. Würde das Gleiche auch mit mir passieren, wenn ich starb? Würde das Wasser einfach über mir zusammenschlagen?
In dem Raum hielten sich etwa zehn bis zwölf Leute auf, die alle ein Glas in der Hand hielten und in mehreren kleinen Grüppchen herumstanden. Vielleicht waren es Freunde von Jennifer gewesen, die sich nun hier versammelten, um die neue Hausherrin willkommen zu heißen. Gloria trat auf einen kräftig gebauten Mann mit kantigem Gesicht zu, dessen Haar bereits zu ergrauen begann. Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Er blickte hoch, sah mich einen Moment lang scharf an und kam dann zu mir herüber.
»Ja?«, fragte er.
»Bitte entschuldigen Sie, dass ich einfach so hereinschneie.«
»Gloria meinte, Sie hätten mir etwas Wichtiges zu sagen.«
»Mein Name ist Nadia Blake. Ich werde von demselben Mann bedroht, der Jennifer getötet hat.«
Er verzog kaum eine Miene, blickte sich nur verstohlen um, ob uns jemand beobachtete.
»Oh«, sagte er. »Und warum kommen Sie damit zu mir?«
»Wie meinen Sie das? Ihre Frau ist ermordet worden, und nun hat es der Typ auf mich abgesehen.«
»Das tut mir sehr Leid«, antwortete er gelassen. »Aber was habe ich damit zu tun?«
»Ich dachte, Sie könnten mir etwas über Jennifer erzählen.«
Er nahm einen Schluck von seinem Wein. »Ich habe der Polizei bereits alles Relevante mitgeteilt«, erklärte er. »Ich verstehe nicht recht, was Sie hier wollen. Das Ganze war eine schreckliche Tragödie. Jetzt versuche ich einfach, mein Leben so gut wie möglich weiterzuleben.«
»Das scheint Ihnen recht gut zu gelingen«, antwortete ich, während ich den Blick durch den Raum schweifen ließ.
Sein Gesicht lief puterrot an. »Was haben Sie gesagt?«
Seine Stimme klang sehr wütend. »Bitte verlassen Sie jetzt mein Haus, Miss Blake.«
Das Gefühl, das ich in diesem Moment empfand, war eine Mischung aus Panik, Wut und Scham. Während ich verlegen versuchte, ein paar Worte der Rechtfertigung zu stammeln, fiel mein Blick auf einen Jungen, der allein auf einem der Fensterbretter saß. Er war bleich und mager, ein Teenager mit fettigen hellen Haaren, dunklen Augenringen und Pickeln auf der Stirn. Er strahlte die ganze Hoffnungslosigkeit eines halbwüchsigen Jungen aus, eines Sohnes, der seine Mutter verloren hatte. Josh, der älteste Sohn. Ich starrte ihn an, und unsere Blicke trafen sich. Er hatte große dunkle Augen. Schöne Augen in einem schlichten Gesicht.
»Ich werde jetzt gehen«, erklärte ich ruhig. »Es tut mir Leid, dass ich Sie gestört habe, aber Sie verstehen sicher, dass ich Angst habe. Ich suche nach Hilfe.«
Er nickte. Wahrscheinlich war sein Gesichtsausdruck gar nicht so grausam, bloß ein bisschen dumm und selbstgefällig – ein Mensch wie alle anderen. Ein bisschen schwächer vielleicht. Ein bisschen egoistischer.
»Tut mir Leid«, sagte er mit einem bedauernden Achselzucken.
»Danke.« Ich machte auf dem Absatz kehrt und versuchte mit aller Gewalt, die Tränen zurückzuhalten und nicht darauf zu achten, dass alle mich anstarrten, als wäre ich eine Bettlerin, die sich gewaltsam Zutritt zum Haus verschafft hatte.
In der Eingangshalle kam mir ein kleiner Junge auf einem Dreirad entgegen, der wie wild in die Pedale trat.
»Ich kenne dich!«, rief er. »Du bist der Clown! Lena, der Clown ist zu Besuch gekommen! Komm und sieh dir den Clown an!«
14. KAPITEL
ch nehme alles«, erklärte ich bestimmt. »Eier mit Speck, Toast, Bratkarto
I
ffeln, Tomaten, Würstchen,
Pilzen. Was ist denn das da?«
Die Frau hinter der Theke inspizierte den Inhalt des betreffenden Metallbehälters. »Blutwurst.«
»Gut, davon nehme ich auch noch. Und eine Kanne Tee.
Was ist mit Ihnen, Lynne?«
Lynne wirkte ein
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