Der Sommermörder
folgte mir nach oben in ein kleines, voll gestopftes Wohnzimmer.
»Das mit Zoë tut mir übrigens sehr Leid«, sagte ich.
Er starrte mich eindringlich an. »Wie haben Sie von mir erfahren?«
»Ich habe Ihren Namen auf einer Zeugenliste gesehen.«
Er fuhr sich mit der Hand durch sein zerzaustes Haar und rieb sich dann die Augen. »Möchten Sie eine Tasse Kaffee?«
»Danke, gern.«
Während er in der angrenzenden Küche hantierte, sah ich mich im Raum um. Ich rechnete mit einem Foto von Zoë, etwas, das mich an sie erinnern würde, aber da war nichts. Ich hob ein paar von den Zeitschriften auf, die auf dem Boden herumlagen: Fachzeitschriften für Gartenbau, eine Londoner Stadtzeitung mit Tipps für das Nachtleben, ein Fernsehprogramm. In einem der Regalfächer entdeckte ich ein Häufchen runder Steine. Ich griff nach einem marmorierten, der aussah wie ein Entenei, und betrachtete ihn. Dann legte ich ihn vorsichtig zurück an seinen Platz, nahm stattdessen den braunen Filzhut, der über die Ecke eines Stuhlrückens gestülpt war, und ließ ihn auf meinem Zeigefinger kreisen. Ich war gekommen, um Zoë nahe zu sein, aber in diesem Raum war nichts von ihr zu spüren.
Ich streckte die Hand nach einer geschnitzten Holzente aus, die in einem anderen Regalfach stand, und inspizierte sie. Als Fred zurückkam, stellte ich sie hastig zurück.
»Was tun Sie da?«, fragte er misstrauisch.
»Ich habe nur ein bisschen herumgespielt. Entschuldigen Sie.«
»Hier ist Ihr Kaffee.«
»Danke.« Ich hatte vergessen, ihm zu sagen, dass ich ihn ohne Milch trank. Fred ließ sich auf ein Sofa fallen, das aussah, als käme es von einer Müllkippe, und forderte mich mit einer Handbewegung auf, mich auf den Sessel zu setzen. Er hielt seine Tasse mit beiden Händen umklammert und starrte wortlos hinein.
»Das mit Zoë tut mir Leid«, sagte ich noch einmal, weil mir nichts Besseres einfiel.
»Ja«, antwortete er. Achselzuckend wandte er den Blick ab.
Was hatte ich erwartet? Ich hatte mir eingebildet, dass zwischen uns beiden eine Verbindung bestand, weil er mit Zoë befreundet gewesen war, und auf eine ziemlich irrationale Weise hatte ihn das in meiner Phantasie zu einem Seelenverwandten gemacht, der mir näher stand als meine eigenen Freunde.
»Wie war sie?«
»Zoë?« Verdrossen blickte er auf. »Sie war nett, attraktiv, fröhlich … aber wieso interessiert Sie das? Was wollen Sie von mir?«
»Ich weiß, es ist albern, aber ich möchte so viel wie möglich über sie erfahren: was ihre Lieblingsfarbe war, welche Klamotten sie gern trug, welche Träume sie hatte, wie ihre Reaktion war, als sie die Briefe erhielt … einfach alles …« Atemlos hielt ich inne.
Er sah mich mit betretener, fast ein wenig angewiderter Miene an.
»Ich fürchte, da kann ich Ihnen nicht helfen.«
»Haben Sie sie geliebt?«, fragte ich ihn unvermittelt.
Er starrte mich an, als hätte ich etwas Obszönes gesagt.
»Wir hatten viel Spaß miteinander.«
Viel Spaß. Mir wurde das Herz schwer. Er hatte sie gar nicht richtig gekannt oder wollte zumindest nicht, dass ich sie durch ihn kennen lernte. Viel Spaß: was für eine traurige Grabinschrift!
»Fragen Sie sich denn nicht auch, wie sie sich wohl gefühlt hat? Als sie bedroht wurde, meine ich, und dann, als sie starb?«
Er griff nach den Zigaretten und der Zündholzschachtel, die auf dem niedrigen Tischchen neben dem Sofa lagen.
»Nein«, antwortete er, während er sich eine anzündete.
»Das Foto von ihr, das ich gesehen habe, schien schon ziemlich alt zu sein. Haben Sie ein aktuelleres?«
»Nein.«
»Sie haben kein Foto von ihr?«
»Ich bin nicht der Typ, der ständig Fotos macht.«
»Oder sonst etwas von ihr, das ich mir ansehen könnte?
Irgendetwas müssen Sie doch haben!«
»Wozu?«, fragte er. Sein Gesicht wirkte hart.
»Sie müssen entschuldigen. Bestimmt komme ich Ihnen vor wie eine Verrückte, aber irgendwie fühle ich mich diesen zwei Frauen einfach verbunden.«
»Wieso zwei Frauen?«
»Zoë und Jennifer Hintlesham, die zweite Frau, die er umgebracht hat.«
»Was?« Mit einem Ruck beugte er sich vor und verschüttete dabei seinen Kaffee. »Was haben Sie da gerade gesagt?«
»Oh, tut mir Leid! Sie haben es nicht gewusst. Die Polizei hat ein großes Geheimnis daraus gemacht. Ich hab es auch nur durch Zufall herausgefunden. Diese andere Frau hat auch solche Briefe bekommen wie Zoë. Sie wurde ein paar Wochen nach ihr ermordet.«
»Aber … aber …« Fred wirkte abwesend. Dann sah
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