Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gibbons
Vom Netzwerk:
sie denn älter als du?«
    »O Gott, ja. Aber verrat’s keinem! Sie ist fast siebenundzwanzig.«
    »Wie schrecklich!«, meinte Tina sarkastisch. »Ist sie denn nicht verheiratet?«
    »O doch. Seit drei Jahren. Sie erwartet im Dezember ihr erstes Baby.«
    »Wie schön für sie! Sie freut sich sicher riesig.«
    »Ach, nein, sie ist sogar ziemlich vergrätzt. Denn das bedeutet wohl, dass sie ihre Stelle aufgeben muss.«
    »Ach, sie hat also auch einen Beruf?«
    »O ja. Sie ist unheimlich auf Zack. Sie ist die Sekretärin von irgendeinem alten Knaben. Bekommt ein dusselig gutes Gehalt.«
    »Und was macht ihr Mann beruflich?«
    »Er verkauft Autos. In einem Auto-Salon in Golders Green, da wo sie wohnen. Shirley arbeitet in der Londoner City.«
    »Ein Mann, ein Beruf und ein Baby«, murmelte Tina. Sie starrte zu Boden. Erhob sich abrupt. »Na gut, ich muss jetzt gehen und mir vor dem Lunch noch die Nase pudern. Du hast alles, was du brauchst?«
    Unten ertönte der Gong. Viola schaute sich in ihrem Zimmer um.
    Der einzige Schmuck bestand aus zwei großen weißen Elefanten, die man irgendwo im Haus aufgetrieben hatte. Durch die Ritzen der großen alten Fenster pfiff der Wind herein; auch unter der Tür und zwischen den alten Brettern des Fußbodens war Zugluft zu spüren. Aber das Zimmer wirkte insgesamt so groß und hell und so viel Himmel schaute herein, dass der allgemeine Eindruck kein unangenehmer war.
    Dennoch konnte Viola nicht umhin sich zu wünschen, dass es ein wenig kleiner wäre. Mit rosa Vorhängen anstelle von erdbraunen. Tatsächlich wünschte sie, es würde genauso aussehen wie ihr kleines Zimmerchen über dem Geschäft, in dem sie bis zu ihrer Heirat geschlafen hatte. Aber da sie sich dies schon seit ihrer Heirat wünschte, war sie an den Wunsch gewöhnt und machte sich nicht allzu viel daraus.
    Wenn ich doch bloß jemanden hätte, mit dem ich reden könnte!, dachte sie traurig, während sie ins Erdgeschoss hinunterlief.
    Mr Wither begrüßte sie reserviert, Madge mit einer brüsken Geste. Da Mr Wither fürchtete, sie könnte wegen Teddy in Tränen ausbrechen, überließ er Tina die Unterhaltung mit der neuen Hausbewohnerin.
    Aber nachher, ja, nachher! Kurz vor dem Essen hatte Mr Wither das Höllenfeuer eigenhändig noch mit ein paar Scheiten geschürt. Er hatte mehrere Prospekte mit sicheren und höchst empfehlenswerten Investitionsvorschlägen ordentlich, aber dennoch dekorativ auf dem Schreibtisch ausgelegt, ja er hatte sogar ein schlaffes kleines Kissen aufgetrieben, das nun auf dem großen Sessel bereitlag. Mr Wither plante, es fürsorglich aufzuschütteln und Viola zu fragen, ob sie so bequem sitze. Und dann konnte ihr kleines Gespräch beginnen.
    Mr Wither freute sich schon seit Tagen darauf. Er war so damit beschäftigt zu überlegen, was er sagen würde und wie viel Geld Viola wohl haben mochte, dass er gar nicht merkte, wie die Mahlzeit zu Ende ging. Als man ihm die Käseplatte unter die Nase hielt, zuckte er überrascht zusammen und winkte sie ungeduldig beiseite.
    Endlich war es so weit.
    Er beugte sich vor und fixierte Viola mit seinen traurigen, blutunterlaufenen Hundeaugen (wobei ihm nicht entging, dass Viola verschwenderischerweise eine ganze Butterknospe auf einen halben Cracker tat).
    Mit gedämpfter Stimme verkündete er geheimnisvoll: »Wir sollten uns ein wenig unterhalten, du und ich.«
    Viola fuhr der Schreck in die Glieder. Wenn jemand so auf einen zukam und sich »ein wenig« unterhalten wollte, bedeutete das meist irgendetwas Grässliches. Unangenehme Entscheidungen, die einen davon abhielten, sein Leben zu genießen, weil man sich darüber den Kopf zerbrechen musste. Teddy war ganz groß gewesen, was diese »kleinen« Unterhaltungen betraf. Etwa alle zehn Tage hatte er welche anberaumt. Viola kannte sich also bestens damit aus.
    Sie bedachte Mr Wither mit einem verstörten Blick aus weit aufgerissenen grauen Augen, die sonst immer ein wenig schläfrig wirkten. Dann senkte sie die Lider und murmelte gehorsam: »Ja, Mr Wither.«
    »So bald wie möglich«, beharrte Mr Wither und beugte sich noch weiter vor. »Am besten jetzt gleich. ›Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen‹, nicht wahr?«
    Sie nickte bedrückt.
    »Also dann!« Mr Wither erhob sich triumphierend. »In meinem Arbeitszimmer!«
    Doch noch während er sich in Richtung Ausgang bewegte, bemerkte er aus den Augenwinkeln etwas Weißes, wo nichts Weißes sein sollte. Sein Blick wanderte zum

Weitere Kostenlose Bücher