Der Sommernachtsball
fahren und Einkäufe zu machen. Sie liebte solche Exkursionen mehr als alles auf der Welt. Bedauerlich war nur, dass sie keine Tochter hatte, mit der sie sie hätte genießen können.
Hetty war in dieser Hinsicht vollkommen nutzlos. Sie hatte keinerlei Interesse an Einkäufen, außer wenn Mrs Spring kurz in der Buchabteilung von Harrods vorbeischaute, um für eine Bekannte, die Pferde und Hunde liebte, einen Bildband über Hunde und Pferde zu kaufen, der achtzehn Shilling kostete. Dann kriegte man Hetty kaum mehr weg. Dieses Mädchen war einfach unmöglich. Victor nannte sie »Old Het-Up«, weil sie sich so für Poesie erhitzte.
Aber heute musste Hetty mit ihrer Tante in die Stadt, ob sie wollte oder nicht. Denn es schien nun endlich schönes Wetter zu werden, und vor ihnen lag ein langer, ereignisreicher Sommer mit vielen Gästen, Partys und Ausflügen. Und dafür brauchten die Damen des Hauses natürlich die richtige Kleidung und zwar jede Menge davon.
Mrs Spring nippte Orangensaft und zwang sich zur Ruhe. Die Zeitschrift, in der sie blätterte, trug leider nicht gerade dazu bei. Es ärgerte sie, dass Hetty nicht da war, fertig angezogen und zum Aufbruch bereit. Das Mädchen hatte bereits gefrühstückt und sich verdrückt. Das Mädchen verdrückte sich überhaupt andauernd, und das ärgerte Mrs Spring. Sie hatte gerne jemanden am Tisch, mit dem sie sich unterhalten und die Pläne für den Tag besprechen konnte.
Im Übrigen bestand immer die Möglichkeit, dass Hetty in letzter Minute verschwand; einmal hatten sie deswegen einen Zug verpasst. Selbst Victor war zornig auf Hetty gewesen: ihm schien es unbegreiflich, dass jemand einen Zug verpassen konnte. Leichtsinn lag ihm nicht.
Heute war zwar noch jede Menge Zeit, aber Mrs Spring fühlte sich unbehaglich. Sie läutete und sagte zu dem Dienstmädchen, das hereinkam: »Bitte schauen Sie doch mal, wo Miss Hetty ist. Wahrscheinlich ist sie auf ihrem Zimmer. Bitten Sie sie, umgehend herunterzukommen.«
Die Zofe, ein hübsches kleines Ding aus Wales, sagte »Jawohl, Madam« und verschwand. Aber sie ging nicht nach oben.
Unter Victors striktem Regime herrschten Ordnung und Sauberkeit in Haus und Garten. Aber wie ein König, dessen Reich so groß ist, dass er nie die Zeit findet, auch mal die ärmlichen Grenzstämme zu besuchen, betrat er nie das Hinterland des Gemüsegartens, wo sich der Abfall türmte: alte Fensterrahmen, Komposthaufen und ein riesiger Wassertank, der ursprünglich einmal leuchtend türkis gestrichen gewesen war, bevor Zeit und Wetter ihn zu einem sanfteren Blassblau gebleicht hatten.
Kühl zeichnete er sich hinter dem rot-weißen Blütenteppich der Obstbäume ab. Die Apfelbäume standen in Blüte, ebenso die Mandel-, Kirsch- und Birnbäume, ein Meer aus kleinen weißen Sternchen, dazu das Dunkelrosa des Holzapfels. Dort, auf drei Ziegeln, an den Wassertank gelehnt, saß Hetty. Auf ihrem Schoß lag ein Buch, doch sie las nicht, sondern blickte zu dem jüngsten Gärtner auf, der damit beschäftigt war, einzelne Zweige mit Bast zu umwickeln. Gerade sagte er:
»Wissen Sie, Miss Hetty, es liegt an Mr Spring. Er will immer genau wissen, was gepflanzt wird.«
»Ja, ich weiß, aber ein kleiner Kirschbaum mehr oder weniger wird ihm doch nicht auffallen.«
»O doch! Glauben Sie mir, er wird’s sehen, wenn ich ihn einpflanze, Miss Hetty. Außerdem hab ich im Moment so viel zu tun, da bleibt mir keine Zeit. Weiß kaum, wo mir der Kopf steht.«
»Ich könnte ihn ja einpflanzen«, sagte sie eifrig.
»O nee, das lassen Sie mal bleiben! Sie entschuldigen schon. Sogar so ein kleiner Racker wie der da«, er deutete auf einen kleinen Kirschbaum, »lässt sich nicht so einfach einbuddeln. Das muss man schon richtig machen. Wenn man’s nicht richtig macht, krepiert er, und das wollen Sie doch sicher nicht, was, Miss Hetty?«
Er sprach freundlich, wenn auch ein wenig herablassend und amüsiert, als ob er es mit einem Kind zu tun hätte. Miss Hetty benahm sich wirklich nicht wie andere junge Damen. Schon komisch.
»Nein«, antwortete sie knapp und schaute zu der märchenhaften Blütenwolke empor. Hetty hatte kleine, tiefliegende blaue Augen, die immer ein wenig grimmig dreinblickten und leicht verschleiert waren, vom vielen Lesen. Dieser zornig-frustrierte Ausdruck verschwand nur, wenn sie einen neuen Autor oder ein neues Buch entdeckte.
»Es ist so, Heyrick«, begann sie, schwieg jedoch und fuhr nach einer Pause fort, »mögen Sie Musik?«
»Weiß nicht.
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