Der Sommernachtsball
nach, den erfolglosen (weil armen) Franklins, allesamt Lehrer, Pfarrer oder Bibliothekare und so langweilig wie Spülwasser. Immer steckten sie die Nasen in irgendwelche Bücher, hatten löchrige Socken und kaum einen Penny. Hetty war eine Enttäuschung. Alles, was Mrs Spring tun konnte, war Victor darum zu bitten, gut auf Hettys Geld aufzupassen, während sie ihr Kleidung kaufte und versuchte, einen Mann für sie zu finden.
Mrs Spring war keineswegs eine glühende Verfechterin des Heiratens. Es wurde viel Unsinn über die Ehe erzählt. Den jungen Mädchen von heute stand die Welt offen, selbst wenn sie nicht heiraten wollten (Tanzen, Reiten, Shows, Fliegen, Partys, Segeln und Golf), vor allem, wenn sie Geld hatten.
Aber Hetty hatte keins. Für Mrs Spring waren hundert Pfund pro Jahr kein Geld. In diesem Fall musste sie diesen Gaunern zustimmen, die kleine Geldmengen als »Vogelfutter« bezeichneten. Hetty war außerdem ein ständig unzufriedener Sonderling. Sie interessierte sich für nichts, außer für abscheuliche Bücher von unmoralischen Autoren. Je eher sie heiratete, desto besser.
Was Hetty selbst betraf, so fand sie das Leben auf Grassmere ermüdend, unnütz und vulgär (auch wenn sie sich das nicht zu sagen traute). Sie fragte sich ständig, was Samuel Johnson wohl dazu gesagt hätte, und dachte sich fiktive Gespräche mit ihm aus, über die Leute, die am Wochenende zu Besuch kamen: »Sir, Mr Sowieso ist ein Narr, ein doppelter Narr, denn er ist sich seiner Narretei nicht bewusst.« Die Interessen ihrer Tante langweilten sie, und sie fand die Fantasielosigkeit ihres Cousins Victor unattraktiv.
Was nutzte einem Mann seine ganze Schönheit, wenn er dumm war?
Es gab niemanden auf Grassmere, mit dem sie sich über Bücher hätte unterhalten können.
Auf Grassmere wurden keine Bücher gelesen. Höchstens mal ein Krimi aus dem Drogerieladen in Chesterbourne, meist jedoch nur irgendwelche Zeitschriften. TATLER , VOGUE , SUNDAY PICTORIAL , HOMES AND GARDENS und Auto- oder Motorbootjournale. Diese Zeitschriften mussten mit dem Radioapparat konkurrieren, dem Pianola, dem Telefon, Besuchern, Klatsch und Tratsch und mit den Hunden. Meist zogen sie den Kürzeren.
Ihre Leidenschaft für Poesie (ein Wort, das gewöhnlich zu stark ist für das, was damit ausgedrückt werden soll, doch in diesem Fall war es sogar noch untertrieben) hatte Hetty in der Schule entdeckt, und dort war sie auch genährt worden. Jetzt konnte sie ihr nur noch im Verborgenen frönen, denn ihre Tante oder ihr Cousin hätten sich darüber lustig gemacht oder aber geschimpft. Sie mochten keine gescheiten Mädchen und schon gar keine, die Bücherwürmer waren und auch sonst irgendwie anders. Gescheite, eigenartige Mädchen, die aber nicht gescheit genug waren, um damit Karriere zu machen, waren Sonderlinge. Außenseiter. Waren sie, wie Hetty, auch noch hoffnungslose Fälle, wenn es um Partys, Reiten, Tennis, Skifahren, Fliegen, Segeln und Golf ging, dann waren sie eine Heimsuchung, ein Dorn im Fleisch der Springs.
Hetty schaute im Vorbeifahren zu The Eagles hinüber. Sie mochte dieses dunkelgraue, hoch aufragende Haus, in dem Mr Wither und seine traurigen Töchter wohnten. Hetty hatte zwar noch nie mit einem der Withers geredet, aber sie stellte sich gerne vor, wie es dort wohl zuging, wie es aussehen mochte. Wahrscheinlich brodelte der Alltag vor seltsamer, unterschwelliger Komplexität, wie in einem modernen Roman.
Das Haus mit seinem langweiligen Gesträuch und den schweren, dunklen Vorhängen war in ihren Augen ebenso romantisch wie eine Geschichte von Tschechow. Es war so anders als Grassmere, wo alles so fürchterlich neu war.
Ich wünschte, ich könnte von hier fliehen, dachte Hetty wehmütig, als der Wagen vor dem Bahnhof hielt. Und in einem Haus wie The Eagles leben, wo es still und friedlich ist und der Alltag voll finster-schöner Melancholie.
»Hetty! Deine Handtasche!«, rief Mrs Spring.
Der Chauffeur bückte sich und klaubte sie aus dem Rinnstein.
4. KAPITEL
Als Viola bereits vier Tage auf The Eagles lebte, unternahm Mr Wither einen erneuten Vorstoß, um sein kleines Gespräch zu führen, diesmal mit Erfolg.
Von seinem Kabäuschen aus konnte er zur Bibliothek auf der anderen Seite der Eingangshalle sehen. Da er trotz der scheußlichen Zugluft die Tür halb offen ließ, hatte er entdeckt, dass Viola nach dem Lunch immer in die Bibliothek ging, um sich ein Buch auszusuchen.
Sie machte gar keinen Versuch, ein wenig Ordnung in
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