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Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gibbons
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gegangen war. Die anderen waren nur eine halbe Stunde später auf Grassmere aufgetaucht, was ihrer Geste nicht nur die Wirkung geraubt, sondern den armen Bill, der hoffnungslos in sie verliebt war, um die ein, zwei Stunden gebracht hatte, die er allein mit ihr hätte verbringen können. Da hätte sie ebenso gut gleich auf dem Ball bleiben können.
    Außerdem war es unklug gewesen, sich Victor gegenüber anmerken zu lassen, dass es sie störte, wenn er mit einer anderen flirtete. Ich sollte inzwischen eigentlich wissen (dachte Phyllis und rieb sich mit einer Gesichtscreme ein, die sechs Shilling und sechs Pence gekostet hatte), wie sehr Victor es hasst, wenn ich mich aufführe, als ob wir bereits verheiratet wären. Aber er braucht nicht zu glauben, dass ich mir die goldlockigen Schönheiten gefallen lasse, wenn wir erst mal verheiratet sind. O nein. Ich lass mich doch nicht zum Narren machen. Von keinem.
    Er wird schon darüber wegkommen. Ich merke es immer, wenn’s den alten Frauenhelden erwischt hat, er versucht immer so krampfhaft, sich nichts anmerken zu lassen! Ich glaube kaum, dass er sich wirklich mit ihr einlässt, doch nicht mit einem so gewöhnlichen kleinen Ding wie ihr. Wir sind doch praktisch Nachbarn?
    Das sollte er jedenfalls besser bleiben lassen, wenn er weiß, was gut für ihn ist.
    Sie schlüpfte ins Bett und knipste das Licht aus.
    Als die Withers zu Hause ankamen, waren die Dienstmädchen (mit Mrs Withers Segen) bereits schlafen gegangen. Aber sie hatten im Morgenzimmer einen kleinen Imbiss hinterlassen: Sandwiches und kühlen Saft. Da konnte man sich noch etwas unterhalten und den Abend Revue passieren lassen.
    »Gute Nacht, Saxon.«
    »Gute Nacht, Sir, gute Nacht, Madam.«
    Saxon hielt gewissenhaft die Tür auf, während sie, einer nach dem anderen, ausstiegen, erst Mr Wither, dann Mrs Wither, Madge, Viola und zuletzt Tina.
    »Gute Nacht, Saxon.«
    »Gute Nacht, Miss Tina.«
    Sie schaute ihn nicht an. Das Mondlicht, die Stille des Waldes, das Funkeln der Sterne, all das berauschte ihre Sinne. Wie rein die mondbeschienene Luft roch! Sich langsam auf Meilen über Meilen Landes ausbreitete, wo Weißdorn und Bohne blühte, Obsthaine und Gärten. Noch war der Geruch dieser Luft stärker als der, der aus den Städten kam, so wie früher, in den Zeiten von Charles II., als er den Gestank der Dunghaufen überdeckte. Die alte Erde behält ihre Würze. Und ich muss jetzt reingehen und ins Bett, dachte Tina, bei all dieser atemberaubenden Schönheit hier draußen. Wie gern würde ich einfach losfahren, die ganze Nacht lang, runter zum Meer. Sie glaubte das Tosen der Wellen förmlich zu hören.
    Mr Wither schloss die Tür.
    »Meine Güte, bin ich müde«, sagte Mrs Wither und musste ein Gähnen unterdrücken. Ächzend rieb sie einen Schuh, in dem ein treues Hühnerauge fürchterliche Qualen litt.
    »Polo hat gar nicht gebellt«, bemerkte Madge sehnsüchtig. Sie machte sich über ein Eier-Sandwich her. »Schläft wahrscheinlich schon. Ich sollte vielleicht besser mal kurz zu ihm …«
    »Unsinn«, nuschelte Mr Wither mit vollem Mund. »Wozu denn das? Wieso willst du den Hund aufwecken, um halb ein Uhr morgens? Der schläft doch nie mehr ein.«
    Eine schläfrige Pause trat ein, während jedermann aß. Selbst Viola, die von der ganzen Aufregung wieder Hunger bekommen hatte. Tina dagegen schmeckten die Sandwiches wie Sägemehl. Sie legte schließlich ein halb aufgegessenes beiseite, murmelte etwas wie: »… meine Handtasche …«, und verschwand.
    Ich kann nicht schlafen gehen, ohne ihn noch einmal zu sehen. Es schadet ja nichts – nur noch mal kurz hinaus in dieses magische Licht, ihn sehen und Gute Nacht sagen. Ich hab ja eine gute Ausrede – wo ist übrigens meine Handtasche? Ach ja, auf der Bank in der Diele.
    Sie hatte gehört, wie sich das Geräusch des Motors entfernte. Saxon fuhr den Wagen nach hinten, auf den Hof. Sicher war er jetzt dort, in der Garage.
    Leichtfüßig lief sie die alte ausgetretene Küchentreppe hinunter; die Stufen knarrten, wenn man drauftrat. Es war dunkel, aber sie kannte die Treppe so gut, dass sie bei der fünften Stufe, die besonders laut knarrte, automatisch auf den Rand trat und nicht in die Mitte. Schon als Kleinkind war sie diese Treppe mühsam hinuntergeklettert, um die Köchin um einen Batzen Teig anzubetteln, aus dem sie Männchen machen wollte. Später, als Schülerin, war sie diese Treppe hinuntergerannt, um nach ihrem Hund zu sehen (armer King, er war jetzt schon

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