Der Sommernachtsball
seit fünfzehn Jahren tot), den sie, wie Madge ihren Polo, auf dem Hinterhof hatte halten müssen.
Eilends durchquerte sie die finstere Küche. Ihr gruselte ein bisschen vor dem Steinboden, sie glaubte Kakerlaken darüberhuschen zu sehen. Eine leise Stimme in ihrem Hinterkopf versuchte sich Gehör zu verschaffen: Sie sei drauf und dran, eine Dummheit zu begehen. Du wirst dich noch verraten, meinte die kleine Stimme. Blödsinn, dachte sie, ich hab doch eine gute Entschuldigung … und es ist so schön da draußen, im blauen Licht und in der blau-grünen Landschaft.
Durch die Milchglasscheibe der Hintertür sickerte bleiches Mondlicht. Sie beugte sich vor und entriegelte sie. Leise Geräusche drangen an ihr Ohr: das Schnurren des Motors, das Japsen von Polo. Saxon, der beruhigend auf ihn einsprach.
Sie zog die Tür auf und blieb einen Moment stehen, schaute auf Saxon hinab.
Er stand über Polo gebeugt. Der junge Terrier hatte sich auf den Rücken geworfen und die Beine in die Luft gestreckt. Sein Bauch schimmerte weiß im Mondschein. Saxon rubbelte ihn lachend.
Dann blickte er auf. Als er sie dort stehen sah, wurde er sofort ernst.
»Miss Tina! Stimmt etwas nicht?« Er erhob sich; sein langer Schatten fiel über die Pflastersteine.
»Nein, es ist nichts«, sagte Tina ruhig (obwohl ihr das Herz bis zum Hals schlug), »ich … ich kann nur meine Handtasche nicht finden. Haben Sie sie vielleicht gesehen?«
Sie raffte ihr Kleid, das im Mondschein silbern und braun funkelte, und trat über die Schwelle auf den Hof hinaus. Ihre Füße in den dunklen Satinschühchen sahen winzig aus, zwei dunkle Flecken vor dem Hintergrund der staubigen, mondbleichen Pflastersteine.
Saxon wandte sich ab, um zur Garage zu gehen, und sie folgte ihm. Wie still die Nacht war! Der Mond goss seine Strahlen aus großer Höhe übers Land, eine riesige bleiche Scheibe mit einem breiten braunen Hof, in dem kein einziger Stern zu sehen war.
Saxon öffnete die Autotüre und knipste das Licht an. Zögernd näherte sie sich dem Schuppen.
»Hier ist sie nicht, Miss Tina.«
Sie konnte sein Gesicht sehen; ernst und ein wenig besorgt drehte er Kissen um, lugte in staubige Winkel voller Besen und Straßenkarten.
»Hatten Sie Wertsachen darin?«
»O nein, bloß etwa fünf Shilling. Eine silberne Tasche mit Schildpattgriff«, murmelte sie, am Eingang verharrend, »und ein Lippenstift, der mir sehr lieb war.«
»Ein hübscher Fund für eine Dame.« Saxon drehte sich lächelnd zu ihr um. »Vielleicht haben Sie sie ja in den Assembly Rooms liegen gelassen? Ich muss morgen ohnehin für Mr Wither in die Stadt fahren. Ich könnte dort vorbeischauen, wenn Sie möchten.«
»Ja, danke«, hauchte sie.
Saxon schlug die Wagentüre zu, und das Licht ging aus. Er wandte sich um. Tina, umhüllt von einer zarten Parfümwolke, machte einen Schritt auf ihn zu.
»Ach ja, Saxon, wegen morgen …«, begann sie mit nervöser, zittriger Stimme, doch ihr Parfüm, ihr Gesichtsausdruck, der Ton in ihrer Stimme, all das stieg Saxon jäh zu Kopf. Schmunzelnd schlang er die Arme um sie, zog sie, die sich erschrocken wehrte, an sich und gab ihr einen langen, innigen Kuss.
Sie hörte noch, wie er »du süßes kleines Ding« oder »kleine Tina« murmelte, bevor sich seine Lippen auf die ihren pressten, aber sie konnte nicht mehr klar denken. Sie wusste nur eins: Es war der Körper eines Fremden, der sich da an sie drückte, er erschreckte sie, und sie wehrte sich heftig, ganz instinktiv. Gleichzeitig sah sie jedoch, wie jugendlich seine Wange wirkte, und ein zärtlicher Stich durchfuhr sie.
»Was ist?«, flüsterte er, und diesmal konnte sie seinen ländlichen Dialekt heraushören, »magst du mich denn nich’?«
Sie warf den Kopf erregt hin und her. »Nicht, nicht«, flehte sie, »lassen Sie mich los! Bitte, Saxon, Sie müssen mich loslassen!«, schluchzend.
Er ließ sie los und zog, den Blick gesenkt, seine Manschetten zurecht. Sie brachte mit zittrigen Fingern ihr Haar in Ordnung. Er wirkte weder beleidigt noch durcheinander, nur nachdenklich.
Aus dem Wäldchen auf der anderen Straßenseite drang jäh der bezaubernde Gesang eines Vögelchens; so süß und schön, dass es Tina fast das Herz brach. Sie war froh, als er abrupt wieder verstummte.
»Ich muss gehen«, sagte sie schließlich. Sie konnte ihn nicht so stehen lassen, sie musste etwas sagen.
Er hob den Kopf.
»Wenn Sie Ihrem Vater bitte nichts davon sagen würden. Ich werde morgen meine Kündigung
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