Der Sommernachtsball
weitergehen könnte – aber schon endete die Musik mit einem prächtigen Crescendo.
»Danke«, murmelte Victor und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er starrte wie gebannt in ihr ekstatisches Gesicht.
»Ach, war das schön!«, rief sie begeistert aus und stimmte in das laute Klatschen der Ballbesucher ein. »Sie sind ja ein wundervoller Tänzer …«
»Dasselbe hab ich auch gerade über Sie gedacht …«
»So schön war’s noch nie …«
Die Leute klatschten immer lauter. »Encore! Encore!«, riefen sie ungeduldig.
»O ja, bitte noch mal!«, rief auch Viola, die sich auf die Zehenspitzen stellte und klatschte, bis ihr die Hände wehtaten. »Encore! Encore!«, rief auch sie aus vollem Halse.
Aber Mr Knoedler ließ sich nicht erweichen. Er war kein Freund von Walzern. Wenn ein reicher junger Mann wie Mr Spring, Stammgast im Cardinal Club, wo er und die Boys hauptsächlich spielten, ihn um einen bestimmten Walzer bat, dann gehorchte Mr Knoedler. Er selbst jedoch begeisterte sich vor allem für Swing, richtig guten Swing, und dazu peitschte er nun die Boys auf.
»Och …«, sagte Viola enttäuscht. In diesem Moment drang, wie der Zwölf-Uhr-Schlag ans Ohr des enttäuschten Aschenbrödels, die Stimme von Mrs Wither an Violas Ohr.
»Viola, Liebe«, sagte sie missbilligend und legte zwei Finger auf Violas Ellbogen, »Mr Wither hätte gerne kurz mit dir gesprochen.«
Ach, verschwinde, du alte Schachtel, dachte Mr Knoedler böse, der sich mittlerweile heftig in Viola verguckt hatte. Er dirigierte noch hektischer, in der Hoffnung, der Swing würde Mrs Wither in die Flucht schlagen.
Aber Mrs Wither ließ sich nicht in die Flucht schlagen. Zwei Finger auf Violas Arm, lächelte sie Mr Spring kurzsichtig zu. Auch der stand noch ganz unter dem Einfluss des letzten Tanzes und hätte liebend gerne mit Viola weitergetanzt; auch er wünschte Mrs Wither zum Teufel.
»Och …«, sagte Viola zutiefst enttäuscht. Sie schaute Victor an, »aber …«
Sie liefen nun Gefahr, von den Swing-Begeisterten niedergetrampelt zu werden (Chesterbourne hatte zum Swing gefunden wie eine Brieftaube zurück zum heimischen Schlag), daher zogen sie sich vorsichtig von der Tanzfläche zurück – und landeten direkt in den Armen von Mrs Spring und von Hetty, die versucht hatten, zu Victor zu gelangen, aber durch den Swing abgeschreckt worden waren.
»Verzeih, Victor, aber ich fürchte, ich muss nach Hause«, sagte seine Mutter in drängendem, leisem Ton und nickte lächelnd Mrs Wither zu. (»Wie geht es Ihnen? Wir haben uns seit unseren Komitee-Tagen nicht mehr gesehen, stimmt’s?«) »Könnten wir jetzt gleich heimfahren? Ich fühle mich wirklich nicht besonders gut.«
Victor unterdrückte sofort seinen Unmut und seine sexuelle Frustration. »Ja, natürlich«, er nahm seine Mutter beim Arm, »du hast bereits alles, ja? Gut. Kann ich dich kurz mit Hetty allein lassen, während ich den Wagen hole?«
»Ja, natürlich. Gute Nacht, Mrs Wither!«, rief sie höflich über die Köpfe von drei heftig swingenden Pärchen hinweg, »wie schön, dass wir uns mal wieder gesehen haben. Wir müssen …«
Die Tanzenden schnitten den Rest ihrer Worte ab.
Victor drehte sich um, um Viola zuzulächeln, aber die hatte sich bereits abgewandt. Er schaute noch einmal lange genug über die Schulter, um zu sehen, wie sie sich noch einmal zu ihm umdrehte. Da lächelte er ihr zu und machte einen unauffälligen, frechen kleinen Hitlergruß. Ein Lächeln erhellte Violas enttäuschtes Gesicht; dann wurden beide (obwohl die heutige Jugend bekanntlich fürchterlich egoistisch ist) von zwei alten Frauen fortgeschleift, denen sie Zuneigung und Gehorsam schuldeten.
»Mr Wither ist nicht böse auf dich, Liebe, weil du ausgerechnet diesen Walzer getanzt hast«, begann Mrs Wither sanft, während sie sich von Viola durchs Getümmel führen ließ, »aber er möchte, dass du jetzt erst mal bei uns sitzen bleibst und die nächsten zwei, drei Tänze auslässt. Du bist ja ganz erhitzt.«
»Was meinst du mit ›ausgerechnet diesen Walzer‹?«, wollte Viola wissen, die noch ganz unter dem Zauber dieses fraglichen Walzers stand.
»Na, dieser Walzer, Liebe. Mr Wither ist der Meinung, dass es … nun ja, nicht sehr klug von dir war, ihn zu tanzen. Wir verstehen natürlich, dass du nicht einfach nein sagen kannst, wenn Mr Spring dich zum Tanzen auffordert, aber musste es ausgerechnet …«
»Wieso? Was meinst du?«, fragte Viola mit einer für sie ziemlich überraschenden
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