Der Sommernachtsball
einträfe.
Madge äußerte Begeisterung und konnte sich gerade noch so davon abhalten, Mrs Colonel Phillips herzhaft auf den Rücken zu klopfen.
(Ob Polo noch wach ist, wenn ich heimkomme? Vielleicht wird er bellen. Vater sollte besser nicht schimpfen, es bedeutet schließlich, dass Polo mal ein guter Wachhund wird. Wer braucht schon ein Baby, wenn er einen Hund haben kann?)
Das Dinner war vorüber. Die Leute begannen sich zu zerstreuen und zurück in den Ballsaal zu strömen. Viola blickte sich nach Victor um. Ja, da war er. Er redete mit dem atemberaubenden Mädchen, das zusammen mit einem anderen jungen Mann in der Tür stand.
Gleich, dachte Viola, gleich werde ich mit ihm tanzen.
»Kann ich diesen Tanz haben?«, fragte der gut informierte Apothekersohn mürrisch.
»Danke, nein, den hab ich schon Mr Spring versprochen«, sagte sie in einem Ton, als würde sie ein Liebesgedicht aufsagen. »Vielleicht …« Sie hielt inne. Vielleicht würde Victor ja auch noch den nächsten Tanz mit ihr tanzen wollen. Es wäre dumm, ihn gleich jemand anderem zu versprechen.
»Ich will doch bloß noch fünf Minuten bleiben, Phyl, so warte doch noch«, sagte Victor gereizt. »Du willst doch nicht auch schon gehen, Bill, oder?«
»Doch, wenn Phyl möchte.«
»Also, ich muss jetzt meine Tanzpartnerin suchen gehen, oder sie denkt noch, dass ich sie versetzt habe. Gute Nacht, Bill – und danke.«
Danke, dass du mir Phyl vom Hals schaffst. Danke, dass du auf der Heimfahrt ihre schlechte Laune erträgst, dass du sie zu besänftigen versuchst, ihr Feuer gibst und ihr einen Drink mixt, während ihr zu Hause im Mondschein sitzt und auf mich wartet.
Also, wo ist meine lustige Witwe?
Da war sie: Ein wenig verloren stand sie am Rand des Saales und schaute zu ihm hinüber. Er winkte und nickte ihr beruhigend zu, dann ging er rasch zu Joe Knoedler. Mr Knoedler, der auf seinem kleinen Dirigentenpodium stand, musste sich ein wenig herabbeugen, um zu hören, was Victor zu ihm sagte. Dann ging Victor lächelnd auf Viola zu.
Bloß gut, dass Phyl abgehauen war. Er hatte seine Pflicht getan und versucht sie zurückzuhalten. Jetzt konnte er die lustige Witwe beim Tanzen so eng an sich drücken, wie er wollte; das ging niemanden mehr was an. Sollten sie ruhig glotzen, das scherte ihn nicht. Seine Mutter unterhielt sich mit Lady Dovewood, Hetty war nirgends zu sehen, und der junge Andrews war sicher mit irgendeinem Mädel beschäftigt. Nein, ihm war’s egal, was die Leute dachten – trotzdem ertappte er sich dabei, dass er sich rasch vergewisserte, was jeder machte, bevor er den Arm um Violas Taille schlang und mit ihr zu tanzen begann.
Es war eine aufwühlende Melodie, langsam, träumerisch, machtvoll, mit einem schwungvollen Rhythmus, der unterschwellig hämmerte wie die See unter einer Schaumdecke. Rundherum und rundherum. Violas fliegende Sandalen folgten mühelos seiner Führung. Sie hatte keinen Willen mehr, keinen Gedanken, kannte weder Zukunft noch Vergangenheit. Leicht wie eine Feder folgte sie ihm, mit flatternden roten Schleifenbändern und sich blähendem Chiffon, die Augen halb geschlossen, auf den Lippen ein seliges Lächeln. Er drückte sie an sich und blickte sie unverwandt an, aber sie schaute kein einziges Mal zu ihm auf. Der Schwung, der schmissige Rhythmus, wirkten auf sie wie eine Droge. Sie spürte zwar, dass sein Arm sie immer enger an sich drückte, sie sah die kantige Linie seines Kinns, seinen gemeißelten Mund über sich, aber sie war so hingerissen, dass ihr für den Moment gar nicht bewusst war, dass sie mit Victor Spring tanzte. Das Einzige, was sie wusste, war, dass sie ihr Leben lang auf diesen Moment gewartet hatte.
Der Walzer war wie ein Sog, dem die Menschen nicht widerstehen konnten, so wie der Sog des Mondes im Wechsel der Gezeiten. Sie schauten einander an, dann wateten sie lachend ins Meer der Tanzenden, so wie die nächtlich Badenden in die silbergrüne See. Rundherum, rundherum, weiße Krinolinen wogten wie Glockenblumen, Jacken flatterten galant von jungen Schultern. Die Musik schwoll an und schwoll ab wie die Wellen des warmen, mondgeküssten Meeres, und die Tanzenden träumten, dass das Leben herrlich war, mochte auch die Welt da draußen zusammenstürzen.
Das Tempo nahm zu, die weißen Krinolinen blähten sich. Mit geschlossenen Augen ließ sie sich von ihm herumwirbeln, an ihn geklammert, ihr einziger Halt im Mondsog der Wellen, in denen sie zu ertrinken drohte. Ach, wenn dies doch ewig so
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