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Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gibbons
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Innere des Hauses führte.
    Polo kam aus seiner Hütte, beschnüffelte sie und trottete wieder hinein.
    Schönheit ist unfair, dachte die arme Tina und schaute Saxon an. Sie verschafft einem unfaire Vorteile.
    »Gute Nacht«, sagte sie matt und wandte sich zum Gehen. Aber er packte ihre Hand, zog ihr unwilliges Gesicht zu sich heran und gab ihr einen ganz sanften Kuss auf die Wange.
    »Gute Nacht, du komisches kleines Ding«, flüsterte Saxon. Dann verschwand er pfeifend in der mondhellen Nacht.
    Tina musste die Stufen fast hinaufkriechen, so müde war sie. Sie konnte nicht mehr denken, spürte aber noch die Berührung seiner warmen Lippen auf ihrer Wange. Ach, wo wird das bloß hinführen?, dachte sie, mit der Hand auf dem Knauf ihrer Zimmertüre.
    »Tina!« Madges burschikoser Kopf tauchte aus dem Nebenzimmer auf. »Wo warst du denn?«
    »Hab im Wagen nach meiner Handtasche gesucht.«
    »Aber die liegt doch auf der Bank in der Diele.«
    »Ich weiß.«
    »Aber – … na, egal. Hauptsache, du hast sie wieder. Ist Polo rausgekommen?«
    »Ja.«
    »Wie war er?«
    »Na, wie sollte er sein, Madge? Er war in Ordnung. Kannst du denn an nichts anderes denken als an diesen Hund?«
    »Ich frag doch nur. Er ist schließlich in einem kritischen Alter, er wächst so schnell und lernt …«
    »Ja, ja. Gute Nacht.«
    Tina ging in ihr Zimmer und schloss die Tür. Sie fühlte sich so miserabel (während sie eine Gesichtscreme aufschraubte, die zwei Shilling und sechs Pence gekostet hatte), dass es sie überraschte, im Spiegel zu sehen, wie hübsch sie plötzlich war: Ihre Augen glänzten, auf ihrem Gesicht lag ein lebhafter, beinahe glühender Ausdruck. Zornig wandte sie sich ab.
    Kurz bevor sie einschlief, schoss ihr der Gedanke durch den Sinn, dass sie sich zumindest in einen jungen Mann mit Charakter verliebt hatte.
    Ein Stockwerk höher lag Viola bereits in süßen Träumen, auf dem Gesicht eine Creme für sechs Pence und unter dem Kissen eine weißgoldene Tanzkarte.

14. KAPITEL
    Die Leere und Langeweile,von der Viola nach dem Ball heimgesucht wurde, war kaum zu ertragen, also machte sie gar nicht erst den Versuch. Sie versank langsam in Depressionen und Unzufriedenheit, während aus Stunden Tage wurden, aus Tagen Wochen wurden, erst eine, dann zwei. Auch wenn sie kaum Erfahrungen mit Männern hatte, war sie so sicher, dass Victor sich heftig zu ihr hingezogen fühlte, dass sie nach dem Ball jeden Moment einen Anruf oder einen Brief von ihm erwartete; als beides ausblieb, war sie ebenso ratlos wie niedergeschlagen.
    Ihre Vermutung stimmte. Victor fühlte sich tatsächlich heftig zu ihr hingezogen, aber nicht in einem romantischen Sinn. Um es kurz zu sagen: die Absichten des Prinzen gegenüber Aschenputtel waren alles andere als ehrenhaft. Und wie wir gesehen haben, fand er es ratsam, sich nicht mehr mit ihr zu treffen. Der Gedanke, wie es ihr dabei ging, kam ihm nicht in den Sinn. Er nahm an, dass eine Witwe wie sie jede Menge Verehrer hatte und auch wusste, was mit ihnen anzufangen war. Wie öde das Leben auf The Eagles war, wusste er ja nicht. Er kannte Mr Wither nur vom Sehen. Soweit es ihn anging, hätte es dort wer weiß wie lustig zugehen können. Er verzichtete darauf, Hetty auf Viola anzusprechen, weil er sich keine Blöße geben wollte.
    Hetty hatte natürlich gemerkt, dass Victor sich für Viola interessierte, war aber so verärgert darüber (nicht aus persönlichen Gründen), dass sie nicht weiter darüber nachdenken wollte. Wie dumm die Menschen waren! Verliebten sich ineinander, dachten nur an Partys und an neue Kleider, dabei durchlebte die menschliche Rasse wahrscheinlich eine ihrer schlimmsten, wenn auch faszinierendsten Phasen! Hetty nahm den Bus nach Chesterbourne, um zu sehen, ob ihre deutsche Grammatik schon eingetroffen war.
    Victor vermutete, er werde seiner lustigen Witwe früher oder später schon wieder über den Weg laufen – sie waren ja praktisch Nachbarn. Wenn sich das ergab, konnte er ja wohl nicht anders, als sich mit ihr zu treffen – niemand würde behaupten können, dass er hinter ihr her gewesen wäre –, und dann würden die Dinge eben ihren Lauf nehmen. So schätzte Victor die Situation ein, wenn er zwischen der anstrengenden Arbeit und der noch anstrengenderen Freizeit einmal die Muße hatte, an Viola zu denken.
    Viola dagegen ging davon aus, dass er dasselbe für sie empfand wie sie für ihn. Daher konnte sie sich einfach keinen sinnvollen Grund vorstellen (und sie dachte an alle

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