Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gibbons
Vom Netzwerk:
einreichen«, sagte er, »und ich wäre Ihnen … verbunden« (sie merkte, wie er das »dankbar«, das ihm auf der Zunge lag, herunterwürgte), »wenn Sie nichts erwähnen würden. Ich bekäme sonst kein Zeugnis, und das brauche ich, um eine neue Stellung zu finden.« Es war das erste Mal, dass er von Gleich zu Gleich mit ihr sprach.
    Sie hatte das Gefühl, als würde ihr gleich das Herz zerspringen.
    »Aber …«, begann sie.
    Er missverstand sie.
    »Na gut, wenn Sie nicht anders können, dann können Sie nicht anders. Ich hab geahnt, dass so was passiert. Obwohl – es ist größtenteils Ihre Schuld, nich« (hier kam wieder sein Dialekt durch), »um diese Zeit hier rauszukommen, in so ’nem Kleid, und von mir zu erwarten, dass ich … dass ich nichts mache.«
    »Ich weiß, es tut mir leid. Ich wollte ja, dass Sie was machen«, gestand Tina und wurde rot, ganz langsam, von der Frisur bis zu den Schuhspitzen. »Aber … aber als Sie’s dann getan haben, da war es nicht so … nicht so, wie ich es erwartet habe …«
    »Hat Ihnen nicht gefallen, was?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Vielleicht war’s wirklich ein bisschen ungestüm«, räumte Saxon mit einem flinken, atemberaubenden kleinen Lächeln ein. »Ihnen ist wohl kurz die Luft weggeblieben, was?«
    Nicken.
    »Nicht an so was gewöhnt, wie?«
    Kopfschütteln.
    »Komisch. Es ist eine Freude, Sie zu küssen«, mit einem Blick unter gesenkten Wimpern.
    »Ach ja?«, ein Murmeln.
    »Ja. Sie sind so … so klein.«
    (Nicht alt?, dachte Tina verzweifelt. Du hast nicht gedacht, wie alt ist sie, als du mich umarmt hast?) Seine – akkurate – Einschätzung, dass sie Küsse nicht gewohnt sei, passte ihr zwar nicht, aber sie konnte es kaum ableugnen, geschweige denn deshalb gekränkt sein.
    »Was ich sagen wollte«, begann sie, um einen kühlen, beiläufigen, damenhaften Ton bemüht, »ich werde meinem Vater nichts sagen. Es war ja wirklich teilweise meine Schuld und … ich meine, ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe, vielleicht lag’s am Mondschein«, sie lachte gekünstelt, »jedenfalls sollten Sie deswegen nicht die ganze Schuld übernehmen.«
    »Das ist nur fair.« Und mit einem Schlag hatte er das Gleichgewicht zwischen ihnen wiederhergestellt – war ihr wieder ebenbürtig.
    »Ja, mag sein«, sagte Tina und ließ den damenhaften Ton fahren. Erschrocken erkannte sie, dass Saxon die Situation perfekt im Griff hatte.
    Jetzt weiß er natürlich, dass ich ihn liebe, dachte sie kläglich. Deshalb trumpft er so auf und lacht heimlich über mich, auch wenn er’s nicht zeigt. Ach, wie schrecklich! Jetzt glaubt er, er kann alles mit mir machen, bloß weil ich ihn liebe. Er glaubt, er braucht mir bloß mit der Kündigung drohen, und ich laufe zu meinem Vater und bitte ihn, ihn zum Bleiben zu überreden und sein Gehalt zu erhöhen. Wie schrecklich, was für eine unmögliche Situation, in die ich da hineingeraten bin! Was soll ich tun? (Sie versuchte kühl zu überlegen.) Ich muss ihm sagen, dass ich keine Fahrstunden mehr bei ihm nehmen kann, weil ich verreise. Ja, gleich morgen schreibe ich Joyce und frage, ob ich ein, zwei Wochen zu ihr kommen kann.
    Aber wenn ich dann wieder zurückkomme, ist er immer noch da, und nichts hat sich geändert. Ach, was soll ich bloß tun? Wie bin ich bloß in diesen Schlamassel geraten? Wer hätte gedacht, dass ich mich je so in ihn verlieben würde, als ich ihn damals in seinem zerschlissenen roten Pulli rumlaufen sah?
    »Ich mache jetzt besser das Tor zu«, sagte Saxon und schob energisch die Garagentür zu. Im Hause schlug die alte Standuhr dumpf Viertel nach eins. Das ganze Gespräch hatte kaum zehn Minuten gedauert.
    Wäre ich doch gleich reingegangen, als er mich losließ, dachte Tina niedergeschlagen. Sie krallte ihre kleinen Hände in den silbrigen Stoff ihres Kleids.
    »Was ist mit der Fahrstunde morgen?«, erkundigte sich der junge Mann freundlich. Kein »Miss Tina«, kein dezent-respektvoller Ton. Wird er jetzt vor allen Leuten so mit mir reden? Das traut er sich doch sicher nicht!
    »Ach, ich weiß nicht. Ich glaube, wir sollten nicht …«
    »Ich glaube doch. Wäre doch schade, oder? Auf halbem Weg aufzuhören, wo Sie schon so weit gekommen sind?« (War das etwa eine unverzeihlich doppeldeutige Bemerkung?)
    »Na gut«, seufzte Tina müde, »dann eben um elf, so wie immer.«
    »Ich werde da sein«, entgegnete er fröhlich. Sie waren über den Hof gegangen und standen nun vor der offenen Hintertür, die ins dunkle

Weitere Kostenlose Bücher