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Der Sommersohn: Roman

Der Sommersohn: Roman

Titel: Der Sommersohn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Lancaster
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Herzenslust Limo schlürfen, Videospiele in Hotelfoyers spielen. Die strengen Regeln, über die ich mich zu Hause ärgerte, würden in Milford wegfallen, so viel stand fest.
    Dad war eine Wühlmaus – das war der Spitzname für Leute wie ihn, die auf Lastwagen montierte Bohrtürme fuhren und Probebohrungen nach Uran und Erdgas durchführten. Als die Energiebranche in den Sechzigerund Siebzigerjahren und auch noch Anfang der Achtzigerjahre brummte, durchzogen sie in Rudeln den ländlichen Westen, gemeinsam mit Landvermessern und Bodenkundlern. Allesamt Wanderarbeiter, die in eine Stadt hineinfegten und diese für ein paar Wochen übernahmen.
    Aufgrund von Dads Arbeit steuerten Jerry und ich bei unseren getrennten Besuchen jeweils neue Ziele an. Jerry verbrachte Sommer in Orten wie Cuba in New Mexic und Limon, Colorado, und Rock Springs, Wyoming. Ich sah Elko, Nevada, und Thermopolis, Wyoming, und Sidney, Montana. Beide würden wir Milford sehen. Darauf war ich sehr gespannt.
    Nach etwa fünfundvierzig Minuten vom einstündigen Flug sah ich den Kopiloten so etwas wie ein Handbuch herausziehen, und schwarze Panik ergriff mich. Als ich die Propeller sah, versuchte ich zwar, meine Angst zu bezwingen, aber in meinem tiefsten Inneren wusste ich, dass diese kleinen Flatterkisten nicht sicher waren – oder zumindest weniger sicher als der Jet, in dem ich von SeaTac geflogen war. Bilder von Jim Croce und den Mitgliedern von Lynyrd Skynyrd gingen mir durch den Kopf. Sie alle waren mit Fliegern wie diesem hier abgestürzt.
    Mir schwirrte der Kopf.
    Weiß er denn nicht, wie man diese Kiste fliegt?
    Da stimmt doch was nicht? Warum braucht er denn ein Buch?
    Würden die mir denn sagen, wenn was nicht stimmte?
    Ich bin ja nur ein Kind. Vielleicht haben die Angst, dass ich durchdrehe.
    Vielleicht ist es nicht so schlimm. Besorgt wirken die ja nicht.
    Natürlich sehe ich nur ihre Hinterköpfe.
    Vielleicht ist es ganz, ganz schlimm. Was hätte es für einen Zweck, mir das zu sagen, falls dem so wäre?
    Sind die nicht verpflichtet, etwas zu sagen?
    Vielleicht sollte ich mal fragen.
    Ich machte den Mund auf, aber ich brachte kein Wort heraus. Vielmehr erbrach ich einen schaumigen Brei an die Kabinenwand und auf den Fußboden. Meine Augen tränten, ich schaute nach unten und sah Erdnussstückchen auf dem Teppich.
    Das Würgegeräusch brachte den Kopiloten auf den Plan.
    »Mitch, da steckt eine Tüte in der Vordertasche, falls dir wieder übel wird. Mach dir keinen Kopf. Wir sind gleich da.«
    Ich sackte auf meinem Sitz zusammen, peinlich berührt, weil ich gereihert hatte, aber erleichtert, dass wir offenbar nicht abstürzten. Ich rieb mir die Augen, die von der schieren körperlichen Anstrengung des Hochwürgens tränten. Die Säure, die es nicht aus meinem Mund heraus geschafft hatte, brannte noch in der Kehle. Der Geruch von meiner Kotze waberte mir entgegen.
    Wenige scheinbar unendliche Minuten später setzten wir auf und rollten zum Gate. Der Kopilot kam zurück und hob mich über die gerinnende Pfütze von Erbrochenem.
    »Bist du okay, Mitch?«
    »Ja.«
    »Keine Panik, Junge! Hätte ich einen Dollar für jedes Mal, dass einer in diesem Flugzeug gekotzt hat, müsste ich nicht mehr arbeiten.«
    Marie wartete unmittelbar hinter der Tür. Sie war keine Enttäuschung. Dad hatte ein Auge für schöne Frauen. Das galt mit Sicher heit für Mom, und was er in Marie, seiner zweiten Frau, gefunden hatte, war glamourös auf eine Art, wie Mom es nie gewesen war. Maries kohlschwarzes Haar, in der Mitte geteilt, war zuLocken frisiert, die ihr über die Schultern fielen und ihr Porzellangesicht einrahmten. Ihre Nägel waren rot lackiert. Sie trug eine große Sonnen brille wie Elton John. Und sie roch wunderbar.
    Obwohl Dad Marie schon 1976 geheiratet hatte, sah ich sie jetzt erst zum zweiten Mal, da ich ihn ja nur jedes zweite Jahr besuchte. Ihr Lächeln erstarb, als sie die Hand des Kopiloten auf meiner Schulter sah, als wir das Terminal betraten.
    »Hi, Marie«, sagte ich.
    »Ihm ist ein kleines Malheur passiert, Ma’am«, sagte der Kopilot. »Er hat sich erbrochen. Nicht schlimm, aber ich wollte mich vergewissern, dass er auch den Weg findet.«
    »Bist du in Ordnung?«, fragte sie mich.
    »Ja.«
    »Du hast da wohl noch was an dir«, sagte sie und zog die Nase ein wenig kraus, als sie auf meine Hose zeigte. »Lass uns das mal sauber machen.«
    Der Kopilot deutete auf die Herrentoilette, und als ich wegging, fasste ihn Marie am Arm und

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