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Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde

Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde

Titel: Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Christian Delius
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verstottertes Leben bestimmte, eine Macht, die zugleich gütig und streng sein sollte und als höchste Instanz der Liebe Vater und Mutter wie Marionetten zu führen schien. Mutlos und erschöpft wurde ich, wenn mich ein bohrender Gedanke an den vom Himmel herab segnenden oder drohenden
lieben Gott
streifte. Nie würde ich es schaffen, mich an diesen unberechenbaren
Herrn
zu gewöhnen mit Beten, Dienen, Danken, Glauben, Singen, aber noch schlimmer war die Vorstellung der Leere, der Verdammung, der Schuldgefühle, mit denen Gott den verfolgte, der sich seinen Befehlen nicht zu unterwerfen verstand und zum
Heiden
wurde. Verwirrt ließ ich von den Ansätzen zu solchen Gedanken ab, ich wollte nicht, ich konnte und durfte nicht wittern und vermuten, in welchen Teufelskreis dieser Gott mich stieß.
    Ich hatte eine Stunde länger als sonst geschlafen, wollte nicht mehr wie gefesselt im Bett liegen, wehrlos den Ahnungen und Ängsten ausgeliefert, die wie in leichten, tückischen Brisen durch den Kopf wehten. Die Hände strichen hin und wieder über den Körper, auf der Haut lag noch etwas Seifengeruch vom Samstagabendbad. Ich fühlte mich wach, sah mich auf dem Sportplatz stürmen, hinter dem Ball herlaufen, den Ball abgeben, stoppen und schießen. Ich wusste, dass ich mir die leichten und beherrschten Bewegungen vorlog, mein Kinderkörper war nicht kräftig, nicht schnell, nicht groß und nicht sportlich, und ich wollte zu den Besseren, den Siegern gehören. Gerade erst hatte ich beim Schulsportfest mit heller Stimme
Wenn die bunten Fahnen wehen
gesungen und dann erbärmlich wenig Punkte erreicht, war allein aufgefallen durch die weißblass blätternde Haut an Ellbogen, Knien und Knöcheln, die Krankheit mit dem fürchterlichen Namen Schuppenflechte, die mich eher in Richtung der Fische, Lurche, Insekten schob als auf die Höhe einer Siegertreppe. Und während ich nun in stiller Wut an den Schuppen kratzte und die Mahnung nicht hören wollte, dass noch mehr Haut aussätzig werden könnte, lief ich immer schneller über den Sportplatz und dribbelte, flink und geschickt, bis niemand mehr meine schorfigen Knie oder Ellbogen beachtete, ich musste die Angst und die Flechte besiegen, ein kräftiger Stürmer, ich überspielte zwei, drei, vier Gegner und schoss das Tor, das entscheidende Tor für mich, meine Mannschaft, die Schüler von Wehrda. Als ich den Jubel der Mitspieler, den Beifall der Zuschauer dazugab, fiel mir ein, welcher Tag heute war, der Tag des Endspiels. Ich sah mich zwischen den deutschen Stürmern in schwarzen Hosen und weißen Hemden, der Ball zuerst schneller, dann langsamer als die Männer, die ihn beherrschten, Kopfbälle, Flanken, Eckbälle, alle Bewegungen belebt von der märchenhaften Gewissheit, dass diese Männer das Endspiel der Weltmeisterschaft erreicht hatten. Ich sah mich dabei und wollte dabei sein, am Nachmittag durfte ich die Übertragung im Radio hören, ich sprang endlich auf, wusch mich, zog mich an, sonntags frische Wäsche.

Das Brot, in der Mitte des Tisches das Brot, um das Brot herum Sanellamargarine, Marmelade, Johannisbeergelee, Milchkrug,
Kaba der Plantagentrank,
Eier im Eierbecher, am Rand des Tisches sechs Gedecke, davor hochlehnige strenge Stühle. Um das Brot herum Gutenmorgengesichter, die Mutter im blauen Sonntagskleid lächelnd über dem Brot, die zweijährige Schwester wie die fünfjährige frischgebügelt gekleidet, artig frisiert neben dem Brot, der Bruder im weißen Hemd, das Haar nass gekämmt, und das Mädchen, das Kochen und Haushalt lernte, pausbäckig, abwartend, ergeben. Der Platz neben mir war frei, weil der Vater sonntags in seinem Amtszimmer frühstückte und die Predigtnotizen durchging, ehe er mit dem Motorrad zum frühen Gottesdienst drei Kilometer ins Nachbardorf Rhina fuhr.
    Sonntags mussten vor dem Frühstück kein Gebet, kein Gesang abgewartet werden, ich nahm aus dem geflochtenen Korb eine akkurat mit der Maschine geschnittene Scheibe, ich strich die Margarine auf
unser tägliches Brot,
sonntags war mein Frühstück nicht vom Fahrplan des Busses diktiert. Ich klopfte das Ei auf, rührte die Milch in das Kakaozuckerpulver, ich rührte, ich strich, ich fügte mich ein in diesen Kreis, der um das Brot herumsaß. Ich tat, was die andern taten, suchte den süßen Trost im
Plantagentrank,
nickte zu der überflüssigen Aufforderung, es mir schmecken zu lassen. Das Brot war frisch, das Ei warm und weich, ich hatte Hunger und saß nicht im väterlichen Blickfeld. Ich

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