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Der Sonntagsmonat

Der Sonntagsmonat

Titel: Der Sonntagsmonat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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Novemberwoche 1918 in Frankreich gelandet und sechs Monate lang im ausschweifenden Frieden der verheerten Dörfer der Pikardie geblieben), mit verschiedenen auswechselbaren Moderatoren, die Quizsendungen und Schaustellungen bürgerlicher Schlauheit im Tagesprogramm des Fernsehens leiteten, mit den obskuren Mächten hinter und über dem nicht sehr vertrauenswürdigen Etablissement, in dem er sich befand, und, obskurer noch und ominöser, mit einem Mann, der ihm, so glaubte er offenbar, meine Mutter zu entführen drohte. Mein Vater neigte dazu, diese Verwechslungen in der Reihenfolge meiner Aufzählung durchzuspielen, und so begannen unsere Gespräche meist in brüderlicher Herzlichkeit und endeten in erschreckender Feindseligkeit. Wobei ich der Erschrockenere war, nicht er: meine Toleranz Unwirklichem gegenüber erweist sich, obwohl ich behaupte, ich sei ein Anhänger des Supranaturalismus, als sehr gering. Daß er mich anblickte und einen anderen sah, machte mir die Knie weich. Sein Kopf, mit Gedanken behangen, die nicht tiefer wurzelten als Misteln, war noch immer massig und, im Gegensatz zu meinem (die kärglichen Gene meiner Mutter!), noch immer dicht mit Wolle be deckt: ihm war nicht nur kaum eine Strähne ausgegangen, sondern sein Haar, das im Heim nur selten geschnitten wurde, wucherte wilder und lockiger und so dicht und weiß wie das Vlies eines Widders. Sein Mund, seine Nase, die Haare in seinen Nüstern – alles war gewachsen, nur seine Augen nicht, die eine Schwellung der sie umgebenden Haut zu perligen, ungestüm blitzenden, fast mongolischen Schlitzen reduziert hatte. In einem karierten Bademantel, den Jane und ich ihm geschenkt hatten, pflegte er in einem Lehnsessel mit hölzernen Armlehnen neben seinem eisernen Bett zu sitzen. Unglücklicherweise war der Lehnsessel mit genau dem gleichen karierten Wollstoff bezogen. Das verlieh seiner Gegenwart den elektrisierenden Eindruck von Deplaciertheit: es war wie die vibrierende Aura, welche Schauspieler umgibt, die eingeblendet vor einem Hintergrund erscheinen, der in Wirklichkeit ein anderer ablaufender Film ist.
    «Dem Herrn sei Dank, daß du endlich gekommen bist!» Seine volle Stimme mit den weichen Vokalen des Mannes vom Lande und der Entschiedenheit, mit der sie am Ende eines Satzes dunkler und tiefer wurde, war ihm bis ins hohe Alter geblieben und gab noch seinen unsinnigsten Äußerungen das sonore Dröhnen von Predigten, die ich vor dreißig Jahren abgesessen hatte. «Wenn die Zeit erfüllt ist», fuhr er in einem mehr spöttischen Ton fort, «kommet der Bräutigam. Wir haben an diesem Narrenstall eine Ewigkeit gewartet, und ich dachte schon, der Schatten würde sich in Essig verwandeln.» Für ihn hatten diese Worte etwas Witziges, und seine kleinen Augen verhärteten sich in der Erwartung, daß ich lachte.
    Ich tat ihm den Gefallen. «Ich komme, wann immer ich kann», fügte ich hinzu.
    «Dann triff keine Verabredungen, die du nicht einhalten kannst», antwortete er prompt. «Bruders Hüter, wette deinen letzten Dollar. Falls unser Vater dich beim Äpfelklauen sähe, bekämest du eine Tracht Prügel, die dir den Hintern versengen würde. Hast du mir irgendwelche Beute mitgebracht?»
    «Ist das hier das Richtige?» Eine Schachtel Schrafft-Schokolade, unterwegs in einem Drugstore in einem Einkaufszentrum gekauft. Seine gefleckten, kantigen Hände rissen an dem Zellophan wie die Tatzen eines Waschbären. Sein Appetit, weit davon entfernt, geringer zu werden, wie es bei einem normalen Kräfteabbau der Fall gewesen wäre, hatte mit seinem geistigen Verfall noch zugenommen und verstärkte die Illusion, daß sein Körper zunehme an Kraft und Präsenz. Seine Handrücken waren mit großen Altersflecken gesprenkelt, Vorfahren der Flecken, die sich auf meinen Handrücken abzuzeichnen begonnen hatten.
    Er schob sich eine Schokoladenkirsche in den Mund und schob allzu bald einen kauweichen Karamelbonbon nach. Der Exzeß färbte seine Lippen dunkel. Du bist zum Kotzen! hätte ich fast zu ihm gesagt. Mit schmuddeligem Mund sagte er verschmitzt zu mir: «Du bist ein Leckermaul, Ras. Um ganz zu schweigen –» zwei Zuckermandeln flogen hinter dem Karamelbonbon her und wurden zermalmt – «von deinem wachsamen Auge auf les filles des villes –» jedes Wort zweisilbig ausgesprochen, mit einem sich reimenden ie–jä – «n’ est–ce pas? Sag mal ehrlich, wie war diese kleine wilde Hummel mit den großen Titten? Oben groß, unten langsam, das ist die Faustregel.

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