Der Sonntagsmonat
Predigerfürsten, der «unzeitigen Geburt», Saulus von Tarsus, aus dem der heilige Paulus wurde, und zwar aus dem fünfzehnten Kapitel seines Briefes an die Korinther: «Wir sind die elendesten unter allen Menschen.»
Wir? Wer sind diese wir? Wir, die wir den auferstandenen Christus predigen: «Ist aber Christus nicht auferstanden, so ist unsre Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich.»
Euer? Wer ist damit gemeint? Ihr von Korinth, die ihr euch zu dem ungeheuerlichen neuen Glauben bekennt, die ihr das Evangelium empfangen habt, die aus den Berichten geschöpfte frohe Botschaft, daß der tote Jesus, auferstanden aus dem Grab, von Kephas gesehen wurde und darnach von den Zwölfen und darnach «von mehr denn fünfhundert Brüdern auf einmal, deren –», wie Paulus in jenem packenden Beiseite sagt, das dieser Epistel den Atem erlebter Geschichte, die diaphane Dringlichkeit einer gestrigen Zeitungsmeldung verleiht – «noch viel leben, etliche aber sind entschlafen».
Und nun sind wir alle entschlafen, und das schon seit langem. Doch bis zu diesem Tage gegen Ende des Jahres 1973 ist das Gerücht lebendig geblieben, daß etwas Linderndes geschehen ist, als wäre es erst gestern gewesen, um einem Magneten gleich, der unter einem Blatt Papier mit darauf aufgehäuften Feilspänen entlanggeführt wird, die Scherben, die unsere Verwirrung, unsere Habsucht, unser Ausnutzen der Verwirrung anderer, unsere schlaflose Angst und unsere wandelnde Verweslichkeit verursacht haben, aneinanderzufügen. «Wenn aber dies Verwesliche wird anziehen die Unverweslichkeit, und dies Sterbliche wird anziehen die Unsterblichkeit, dann wird erfüllt werden das Wort, das geschrieben stehet: ‹Der Tod ist verschlungen in den Sieg.»›
Wann? Etwas ist noch nicht geschehen. Paulus erwartet, daß es bald geschieht: «Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden; und dasselbe plötzlich in einem Augenblick, zur Zeit der letzten Posaune.» Die letzte Posaune schallte nicht, ehe Paulus entschlief, noch in den langen Jahrhunderten seither, Jahrhunderte, erfüllt von Begierde und Kampf, von Lust, die noch schneller Leben aussäte, als Krankheit es ernten konnte, Jahrhunderte, deren jedes ein von Menschentränen und Menschenblut überlaufender Kelch ist, der dem über alles Flehen erhabenen Gott als Huldigung und Opfer dargebracht wurde.
Und doch warten noch immer Menschen auf jene letzte Posaune; gestern gerade, bei dem herrlichen Busausflug nach Sandstone, den unsere tüchtige Ms. Prynne arrangiert hatte, damit wir uns auf den Wiedereintritt in die Welt vorbereiteten und für unsere Kinder und Ehefrauen Lederarbeiten als Mitbringsel kauften, überreichte mir ein großgewachsener, anmutiger Jüngling, ein wahres Ebenbild des jungen Jesus – außer daß der historische Jesus zweifellos dunkler und kleiner war –, ein Dritt-Weltler bis zu seinen schmutzigen Fingernägeln – dieser Jüngling überreichte mir eine Broschüre, die illustriert ist mit Karikaturen eines unter einem «Schild der Unglaubwürdigkeit» zusammengebrochenen Richard Nixon und mit komplizierten graphischen Darstellungen des Sonnen-Perihels und der Umlaufbahn des Kometen Kohoutek in ihrer Beziehung zu der Feuereinstellung im November und des Winteräquinoktiums. Diese Broschüre, in Dallas gedruckt und abstoßend in ihren verrückten Vorausberechnungen und ihrer Frömmigkeit im Gewand der Alltagssprache, sagt das Ende der Welt in achtzig Tagen voraus und macht viel her von dem unbiblischen Slogan: «In achtzig Tagen um die Welt.»
Darf ich euch mit einem Absatz dieser schwachsinnigen Prophezeiung vertraut machen?
«Begreifst du jetzt, was Jesus mir zeigt? Einfach toll, wie Gott Seinem Volk zeigt, was los ist! Fängt an am 12. (November), dem Tag nach dem Frieden, Frieden, und dann weiter am 31. (Januar) mit Krieg, Krieg! Alles klar? – Und plötzlich Verderben! Ihr Leute in den U.S. habt nur bis Januar Zeit, wenn ihr abhauen wollt aus den Staaten vor irgendeiner Katastrophe, denn Verderben wird herabfallen als Strafe Gottes für Amerikas Bosheit!»
Nun, wir weichen zurück vor diesem Kauderwelsch mit seinem teuflischen Beigeschmack von Astrologie und drogengesättigtem Radikalismus; aber legen wir uns selbst die Frage vor: Ist nicht der Inhalt dieser elenden, von der hoffnungslosesten Leere einer innerlich hoffnungslos leeren Generation hervorgebrachten Flugschrift, ist nicht der Inhalt, im
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