Der Sonntagsmonat
Unterschied zum Stil, der Inhalt des an uns ergangenen Rufes und des tiefsten Gelöbnisses unserer Herzen?
Betrachten wir noch eine andere Broschüre, die mir von demselben schlaksigen Jesus in die Hand gedrückt wurde – er suchte mich aus unserer herumalbernden Meute aus, als denjenigen, der am augenfälligsten der Erlösung bedurfte. Unter abscheulich grellen Illustrationen und in einer derben, an puerile Gemüter appellierenden Druckschrift finden wir die folgende Travestie des heiligen Mysteriums vom Sühneopfer Christi: «Gott ist unser großer Vater im Himmel, und wir sind seine Kinder auf Erden. Wir sind alle unartig gewesen und verdienen eine Tracht Prügel, oder etwa nicht? Aber Jesus, unser großer Bruder, liebte uns und den Vater so sehr, daß er wußte, die Prügel würden beiden weh tun. Also war er bereit, sie für uns auf sich zu nehmen!»
Nun, wennschon, doch haben wir einmal unseren eigenen Sonntagsschullehrern zugehört oder unseren eigenen Singsang-Predigten im Kindergottesdienst? Ist nicht unsere Abneigung ästhetischer Natur, wo doch Ästhetik eine teuflische Kategorie ist? Ist nicht unsere Liebe zum Christentum eine altertümliche und elitäre Liebedienerei, ein dunkles, geheimnisvolles Getue, wo ein lebendiger Glaube für die einfachen Menschen not täte? Zeugt nicht diese Glaubens-Pornographie genau wie die in derselben finsteren Druckerei hergestellte Kopulations-Pornographie von dem Bedürfnis nach einem Wunder, einem wahren Wunder, nach einer wunderbaren, unverfälschten Wahrheit, die zu unterdrücken eines der verschwörerischen Ziele der Zivilisation ist? Und sind wir, insofern als wir zivilisierte Menschen sind, Menschen von natürlicher Freundlichkeit und verantwortungsbewußte Bürger, tolerant, vernünftig und maßvoll, sind wir nicht Teilnehmer an dieser Verschwörung, unterscheidbar, aber doch deutlich dazugehörend, wie die wenigen und extra köstlichen schwarzen Kugeln in dem sphärischen Glaskörper der Kaugummiautomaten des edlen Zielen dienenden Kiwanis Clubs?
«Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christum, so sind wir die elendesten unter allen Menschen.» Die elendesten, denn was für andere Menschen nur eine Hoffnung ist, ein Beiwerk ihres Lebens gleich einer Feder an einem Hut, das ist für uns der Hut selbst und mehr als der Hut: das Hemd und die Hose und die Schuhe.
Wir sind nackt, sagt uns Paulus, wenn Christus nicht auferstanden ist – wenn «die Auferstehung der Toten nichts ist». Doch wie schwer, wie schwer damals und wieviel schwerer heute, ist es, die Toten in unsere Herzen zu heben! Wie steinern und fahl liegen sie auf den Krankenhauswagen! Wie unwiderruflich der mit Hilfe von Röntgenaufnahmen und Biopsien verfolgte Prozeß des Ablebens! Und wie willkommen für die Lebenden, der Tod der Toten, wie schnell ist der Platz, den sie einnahmen, wieder ausgefüllt, wie dankbar sind wir insgeheim für das bißchen zusätzlichen Raum, den sie uns vermachen! Wir würden vor ihnen zurückschrecken, wenn sie wiederkehrten. Eine unserer tiefsten Ängste ist eben die, daß die Toten zurückkommen könnten; die Auferstehung der Toten ist eine Schauergeschichte. Als Kind, laßt es mich frei bekennen, hatte ich eine Heidenangst, ich könnte zu innig beten und Jesus würde mir aus der Finsternis heraus antworten, und er würde zu mir ins Zimmer kommen und mir mein Lieblingsspielzeug abverlangen.
Und doch, wieviel weiser ist, von einem anderen Standpunkt aus, dem Standpunkt des unzerbrechlichen, unablässig in uns sum schreienden Ego aus, die von Paulus versprochene leibhaftige Auferstehung als jenes neoplatonische Nachleben des Geistes, das bis in unsere Zeit fortbesteht, hauptsächlich als mise en scène für Cartoons im New Yorker. Denn wir wollen nicht als Engel im Äther leben; unsere Körper sind wir, wir, und unser Sehnen nach Unsterblichkeit ist, wie des Todes großer Philosoph Miguel de Unamuno so treffend und niederschmetternd bemerkt, nicht Sehnsucht nach Verwandlung in eine Lebensform, die sich unserer Vorstellungskraft entzieht, sondern Verlangen nach unserem gewöhnlichen Leben, dem irdischen Leben, das, so ziellos und stumpf wir es auch leben, immer und ewig so weitergehen soll. Das einzige Paradies, das wir uns vorstellen können, ist diese Erde. Das einzige Leben, das wir begehren, ist unser diesseitiges Leben. Paulus hat recht mit seiner schauerlichen Hoffnung, und alle, die statt dessen irgendein gasartiges Fortbestehen eines persönlichen Wesens
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