Der Spiegel der Königin
dazu zu überreden, einen Großteil der Wissenschaftler am Hof zu entlassen.«
»Was? Das ist doch Unsinn!«
»Das wissen wir beide – aber sag das jemandem wie Herrn Gesenbek, der ernsthaft um seine Existenz fürc h tet. Und es ist nun einmal leider wahr, dass Monsieur Descartes mit Kritik gegenüber den Sprachwissenschaf t lern und anderen Gelehrten nicht gerade geizt.«
»Das stimmt allerdings«, gab Elin zu. »Aber er macht es nicht, um die anderen vor den Kopf zu stoßen. Er scheint sich nicht bewusst zu sein, wie viele Feinde er sich mit seiner Offenheit schafft. Ich werde mit ihm r e den.«
»Tu das«, seufzte Herr Freinsheim. »Tu das.«
Wie begründet Freinsheims Sorge war, wurde Elin klar, als sie bei der Bibliothek ankam. Mehrere Wisse n schaftler und Sekretäre hatten sich dort eingefunden und warteten darauf, die Bibliothek betreten zu können. Elin fühlte sich unbehaglich und betrachtete die Männer aus sicherer Entfernung. Sie sah missgünstige und besorgte Gesichter und hörte Getuschel und gezischte Gerüchte. Tervué brütete dumpf vor sich hin und Herr Gesenbek sah todunglücklich aus und hielt das schwere Buch an seine Brust gepresst, als wäre es ein schützender Schild. Endlich ging die Tür der Bibliothek auf und eine stra h lende Kristina betrat den Gang, gefolgt von Descartes.
»Ah, die Herren warten schon!«, rief sie den Wisse n schaftlern zu. Dann wandte sie sich sofort wieder De s cartes zu und verabschiedete ihn herzlich. Elin schaude r te, als sie den Blick bemerkte, mit dem Tervué den Phil o sophen musterte. Blanker Hass blitzte darin auf.
Elins Gespräch mit Descartes hatte nicht den gewünsc h ten Erfolg. Der Philosoph lächelte über ihre B e sorgnis und schüttelte nur nachsichtig den Kopf.
»Die Wahrheit hört nun einmal niemand gerne«, sagte er leichthin. »Und ein Raum voller Wissenschaftler ist immer auch eine Schlangengrube. Lassen Sie die Bestien zischen!« Seit die Königin ihn zum Unterricht ins Schloss bat, hatte sich seine Schwermut merklich gebe s sert.
Mitten im kältesten Januar seit langem erhitzte dann ein neuer Skandal die Gemüter. Kristina bot Descartes ganz offiziell an, Präsident der Königlich Schwedischen Akademie zu werden, die sie schon seit längerem zu gründen plante. Nun liefen nicht nur die Wissenschaftler gegen Descartes Sturm, sondern auch die lutherische Geistlichkeit. Doch diesmal schienen die Schmähreden, die hämischen Kommentare und die feindseligen Blicke Descartes ’ Segel nur zu blähen wie ein lange erwarteter Wind nach einer Flaute. Voller Eifer machte er sich da r an, die Statuten für die Akademie zu entwerfen.
In diesen Tagen pfiff der Schneesturm durch die Ga s sen. Im Haus des Botschafters hallte dumpfes Husten durch die Gänge. Monsieur Chanut erkrankte an einer Lungenentzündung und schwebte einige Tage zwischen Leben und Tod.
Fräulein Ebba, aber auch Freinsheim kamen zu B e such, außerdem Tervué , Gesenbek und andere Wisse n schaftler. Selbst Axel Oxenstierna zeigte sich besorgt und ließ dem Botschafter Genesungswünsche ausrichten. Monsieur Chanut gelang das Kunststück, von allen – ob Katholiken oder Protestanten – gleichermaßen geschätzt zu werden. Nachts wachte Descartes am Bett seines Freundes und ging morgens unausgeschlafen und mit grauem Gesicht wieder an die Arbeit oder zum Unterricht ins Schloss. Es verwunderte kaum jemanden, als er ebe n falls erkrankte und Anfang Februar das Bett hüten mus s te. Zwei Tage schlief er wie ein Bewusstloser. In den wenigen Stunden, die er wach war, weigerte er sich zu essen oder zu trinken.
»Mir ist übel, Fräulein Elin«, flüsterte er. »Schaffen Sie das Essen aus meinem Blickfeld!«
Am dritten Tag waren alle im Hause Chanut so b e sorgt, dass Elin ins Schloss ging und die Königin bat, van Wullen ins Haus des Botschafters zu schicken. Zu ihrer Erleichterung ließ die Königin die Sekretäre warten und hörte sich Elins Anliegen an.
»Das klingt wirklich nicht gut«, murmelte sie, nac h dem Elin Bericht erstattet hatte. »Natürlich muss van Wullen ihn untersuchen. Aber wie ich Monsieur De s cartes kenne, wird er darauf bestehen, sein eigener Arzt zu sein.«
»Im Moment wird er kaum in der Lage sein, sich d a gegen zu wehren«, antwortete Elin. Gerade wollte sie sich schon zum Gehen wenden, als Kristinas Stimme sie zurückhielt. »Ach, hast du übrigens schon die Neuigke i ten aus dem Haus de Vaincourt gehört?«
Elin erstarrte. Kristina blätterte in
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