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Der Spiegel der Königin

Der Spiegel der Königin

Titel: Der Spiegel der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: balzon
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in die Bibliothek. Descartes blühte bei dieser Nac h richt auf wie eine Winterrose und war am Morgen schon um vier Uhr hellwach. Als ihn Elin um halb fünf Uhr bei der Botschaft abholte, war sie überrascht, dass er ihr pe r sönlich öffnete – fertig angekleidet, herausgeputzt und reisebereit. Beherzt schritt er durch den frisch gefallenen Schnee. »Auf zur Methode!«, rief er, sobald er Platz g e nommen hatte. »Was werden Sie heute machen, Mad e moiselle? Reiten Sie aus?«
    »Oh nein. Mein Pferd lahmt leider immer noch ein wenig – ein Ausritt würde ihm nur Schmerzen bereiten.«
    Descartes winkte ab und rieb sich die klammen Hände.
    »Sie wissen doch: Tiere haben keine Seele und somit auch keine Empfindungen. Diese vermeintlichen Schmerzenslaute sind nichts anderes als das Quietschen eines schlecht geölten Wagenrads und somit ohne Bede u tung.«
    »Das würden Sie nicht sagen, wenn Sie jemals das Stöhnen eines verwundeten Tieres gehört hätten.«
    Er zeigte ihr ein breites Lächeln, das in ein Gähnen überging, und schüttelte den Kopf.
    »Ich wusste, in Ihnen steckt keine besonders begabte Philosophin, dafür sind Ihre mathematischen Fähigkeiten umso bemerkenswerter. Aber natürlich steht es Ihnen frei, an allem zu zweifeln – auch an den Worten eines Philosophen.«
    Elin sah Kristina an diesem Morgen nur kurz – und wenn sie ehrlich war, war sie froh darum, die Königin nicht sprechen zu müssen. Stattdessen betrat sie ihr kaltes Gemach, das ihr in den vergangenen Monaten immer fremder geworden war. Sie rief keinen Diener, um Feuer im Kamin zu machen, sondern erledigte diese Arbeit selbst. Auf dem Tisch hatte sich Staub angesammelt und die Fensterscheiben waren über und über mit Eisblumen bedeckt. Stumm setzte sich Elin an den Kamin und b e trachtete ihr Porträt, das darüber hing. Ein wenig erinne r te die grünäugige Frau auf dem Bild heute an eine spött i sche Jagdgöttin. Allerdings an eine, die nicht besonders glücklich aussah. Es dauerte eine ganze Weile, bis sich Elin endlich dazu aufraffte, sich an den Tisch zu setzen und nach der Feder zu greifen. Diese Zeilen würden sie mehr Arbeit kosten als alle Briefe, die sie jemals an Em i lia geschrieben hatte. Nie hätte sie gedacht, wie viel Mut es erforderte, Hampus zu erklären, dass sie ihn niemals heiraten werde – auch wenn sie ihn als Freund liebte und es aus Vernunftgründen sicher die bestmögliche Verbi n dung wäre. Als sie nach einer Ewigkeit endlich den let z ten Punkt setzte, stellte sie erstaunt fest, dass sie zwölf Seiten geschrieben hatte. Bevor sie es sich anders überl e gen konnte, faltete sie den Papie r stapel und versiegelte ihn. Dann machte sie sich auf den Weg zu Herrn Frein s heim. Sie fand den Bibliothekar in seinen Privatgem ä chern, wo er auf einer Leiter stand und gerade dem Wi s senschaftler Herrn Gesenbek einen di c ken Band aus der obersten Regalreihe reichte.
    »Guten Morgen«, sagte sie. Gesenbek gönnte ihr nur einen kurzen feindseligen Blick und riss das Buch an sich, als würde er befürchten, dass sie es ihm entreißen wollte. Mit einem unverständlichen Brummen bedankte er sich bei Freinsheim und entfernte sich hastig.
    Der Bibliothekar stieg von der Leiter und lächelte Elin zu.
    »Nimm es ihm nicht übel. Seit die Königin bei Herrn Descartes Unterricht nimmt, fürchten so einige der He r ren, dass die klassischen Wissenschaften am Hof bald nichts mehr gelten und somit auch ihre Posten überflü s sig werden könnten. Was hast du da?«
    »Einen Brief an Hampus«, antwortete Elin leise. »Ich möchte Sie bitten, ihn einem der Sendboten mi t zugeben.«
    Freinsheim nickte und nahm das Schreiben an sich.
    »Ist die Königin noch beim Unterricht?«, fragte er dann.
    »Oh ja – die Tür zur Bibliothek ist noch verschlo s sen.«
    »Nun, falls du die Königin vor mir siehst, richte ihr doch bitte aus, dass ich sie darum ersuche, mir heute ein paar Minuten ihrer Zeit zu schenken.« Etwas beunruhigte Elin am betont munteren Tonfall von Freinsheims Sti m me. Seine tiefen Falten auf der Stirn sprachen eine ganz andere Sprache.
    »Was ist, Herr Freinsheim?«, fragte sie geradeheraus. »Sie machen sich Sorgen – worüber?«
    Der Bibliothekar seufzte und rieb sich müde die A u gen.
    »Ach, das Übliche«, murmelte er. »Es geht um Herrn Descartes. Irgendjemand hier im Hause gibt sich große Mühe, immer neue Schmähungen und Gerüchte zu verbreiten. Neuerdings heißt es sogar, Descartes habe vor, die Königin

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