Der Spiegel der Königin
gegenüber Kristina sorgfältiger zu wählen und ihre G e heimnisse für sich zu behalten. Hampus schrieb aus Leyden von anatomischen Studien und schi l derte eine Blasensteinoperation, der er beigewohnt hatte, und He l ga brachte ihr Konfekt in Form von kleinen Hä u sern, in die sie mit einer Nadel Fenster und Türen g eritzt hatte. Als Elin das erste Mal wieder zur Bo t schaft ging, war Descartes so erfreut sie zu sehen, dass er über das ganze Gesicht zu strahlen begann.
»Wie schön, dass Sie wieder da sind!«, rief er. »In di e ser kalten Botschaft bin ich so einsam wie ein Gletscher. Fast hätte ich das Sprechen verlernt! Monsieur Henri lässt Sie übrigens grüßen. Er hat sich den Abschied sehr schwer gemacht.«
»Wie bedauerlich für ihn«, erwiderte Elin steif. De s cartes lächelte und bat den Diener um zwei Becher Wein. »Die Vernunft überwindet Leidenschaften und Laster«, war sein trockener und etwas ironischer Kommentar. Elin machte es nichts aus, dass der Philosoph mit Angelege n heiten, die die Gefühle betrafen, nicht besonders viel a n fangen konnte und wenig Takt zeigte. Im Gegenteil – sein mangelndes Mitleid machte es ihr leichter, ihre So r gen in einer Kammer zu verschließen und sich stattde s sen ganz auf die mathematische Betrachtung der Wisse n schaften einzulassen, die Descartes zu seiner »Methode« erhoben hatte. Dennoch stellte sie fest, dass sich Kummer nicht in mathematische Formeln und logische Gesetzm ä ßigkeiten fassen ließ. Es war nicht einmal das Schlimm s te, die Li e be unter dem Winterschnee zu begraben. Das Schlimmste war, den Anblick des Nachthimmels mit den von Henri so geliebten Sternen nicht mehr ertragen zu können. Ihre Melancholie schien Descartes anzustecken, denn er wu r de immer unzufriedener und klagte: »Was soll ich hier in diesem Land der Bären, in dem die Me n schen im Winter zufrieren wie die Flüsse?« Immer noch hatte Kristina ihn nicht zur Audienz gebeten. Neben den Staatsgeschäften übte sie ein großes Ballett zu Ehren des Westfälischen Friedens ein und s chlug Descartes ledi g lich vor, sich am Tanz zu beteiligen. »Um Himmels wi l len, Majestät!«, antwortete er ihr in seiner direkten Art. »Ich bin über fünfzig – Sie wollen doch kein lahmes Ross zum Rennen schicken?« Kristina lachte und beau f tragte ihn kurzerhand damit, stattdessen ein Libretto für das Ballett zu verfassen. Elin sah ihm an, wie unglüc k lich er über diesen Auftrag war.
»Ich hätte nicht übel Lust, so bald wie möglich nach Holland zurückzukehren«, brummte Descartes, als er sich mit Feder und Papier an den Tisch setzte. »Aber besser dichten als untätig herumsitzen, nicht wahr, Mademoise l le ? «
Das Ballett wurde am Geburtstag der Königin, dem achten Dezember, aufgeführt. Elin hatte die Finanzen für die Beschaffung der Kostüme, der Hintergrundmalereien und die Dekoration geführt. Die Kostüme, die die ung e heure Summe von 16850 Riksdalern verschlungen ha t ten, waren aus Atlasseide genäht und mit silbernen und goldenen Borten verziert. Allein für das Gewand der K ö nigin hatte man zweiundzwanzig Ellen Silberborte und achtundzwanzig Ellen Silbergaze benötigt. Von allen Balletten, die Elin bisher auf Tre Kronor gesehen hatte, war dies eindeutig das prachtvollste. Kristina tanzte mit einer Leidenschaft, die sogar den strengen Oxenstierni a nern ein Lächeln entlockte. Descartes ’ Ballett-Gedicht mit dem Titel »La naissance de la paix – Die Geburt des Friedens« wurde während des Tanzes verlesen und ernt e te viel Applaus. Das Publikum war bege i stert, aber Elin sah nur schweigend zu. An diesem Abend war das rose n farbene Land tot, eine Ansammlung von Farben ohne Seele und Leben.
Kurz nach dem Julfest kehrten die Chanuts nach Stockholm zurück. Elin war sicher, dass Madame Chanut von dem Zerwürfnis zwischen ihr und Henri gehört hatte, denn sie ging besonders herzlich und behutsam mit ihr um und vermied es sorgfältig, in ihrer Gegenwart über Henri zu sprechen. Das Haus füllte sich allmählich mit Besuchern und Abendgesellschaften. Selbst Monsieur Tervué war wieder oft zu Gast und unterhielt sich bei diesen Gelegenheiten sogar einmal mit Descartes. Es verwunderte Elin, dass die beiden Männer diesmal nicht in Streit gerieten. Die Anspannung war jedoch trotzdem zu spüren.
Endlich schien sich auch Kristina an den eigentlichen Grund zu erinnern, warum sie den Philosophen nach Stockholm berufen hatte, und bestellte ihn zum Unte r richt
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